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Nach(t)kritik

Sa, 13.05.2017
20.00 Uhr

Regelungsbedarf

Veranstaltung: Werner Koczwara: Einer flog übers Ordnungsamt

Was hat der 12.Dezember 2015 mit dem 13.Mai 2017 gemeinsam? Nun, an beiden Abenden gastierte Werner Koczwara mit seinem Programm „Einer flog übers Ordnungsamt“ im bosco, und bei beiden Gelegenheiten amüsierte sich das Publikum prächtig: Wie damals umkreiste der Schwäbisch-Gmünder die Auswüchse deutscher Amtssprache und die dahinter stehende Regelungswut auf höchst unterhaltsame Weise, und wie damals hatte der Kabarettist eine ganze Serie von Muränen-Fotos dabei, die er bei Bedarf zum Luftholen auf einer Dia-Leinwand anklickte: Gebleckte Raubfischzähne als Metapher für den Knieschmerz, den Verwaltungsprosa auszulösen vermag. Natürlich waren die zwischen-geschalteten Bilder auch als Kapitel-Absätze gedacht, wenn Kocwara etwa vom Reiserecht zu Paragraf 26 Eichgesetz wechselte oder vom Bundespersonalratsgesetz zum allgemeinen Arbeitsrecht. Staunend erfährt der Zuhörer: „Wurde ein Spanien-Reisender in Portugal untergebracht, gilt die Reise als vereitelt.“ Oder er bekommt aus dem Strafgesetzbuch Tröstliches serviert: „Niemand darf gegen seinen Willen vorsätzlich aus der Haft entlassen werden.“ All diese an Lyrik grenzenden Pretiosen deutscher Behörden- und Gesetzes-Prosa haben durchaus praktischen Nährwert – denn sie fördern das Kopfschütteln und einen natürlichen Widerspruchsgeist: Selbst wenn der Amtsschimmel gar nichts mehr zu wiehern hätte, vermag er sich nämlich noch zu letzten Zuckungen wie dieser Feststellung des Oberlandesgerichts Köln aufzuraffen: „Für sinnlose Vorgänge besteht kein Regelungsbedarf.“

Koczwara war Autor für Dieter Hildebrandts „Scheibenwischer“ und „Die Harald Schmidt Show“ - das merkt man dem Pointen-Timing und der routinierten Humor-Technik an. Sein Vorgänger-Programm „Am achten Tag schuf Gott den Rechtsanwalt“ lief rekordverdächtige 17 Jahre, ohne dass es beim Publikum irgendwelche Ermüdungserscheinungen gegeben hätte. Eine Qualität des bekennenden Schwaben ist darüberhinaus das Philosophische, das Über-dem-Thema-Stehen, das rechtzeitige Ins-Spiel-Bringen von Logik: Wenn er zum Beispiel einen Schlenker ins Wissenschaftliche macht und darüber spricht, dass der Mensch das einzige Wesen sei, dass um seine Sterblichkeit wisse, kommt sofort der schöne Fallhöhen-Satz: „Im Gegensatz zum Menschen muss der Affe auch nicht ständig auf Beerdigungen.“ Den Beruf des Rechtsanwalts (Koczwara hat ihn selbst nie richtig ausgeübt) fertigt er mit einem Groucho-Marx-Zitat ab: „Das Einzige, was ich von meinem Anwalt verlange, ist dass er bei Sonnenaufgang wieder in seinem Sarg liegt.“ Alles Menschliche ist ihm also vertraut, und das Vampirische des Menschen dazu. So geht das 110 Netto-Minuten und etwa acht Muränen-Bilder lang, genau wie am 12.12.2015. Gegen Ende widmet sich der Kabarettist noch seiner weichzeichnerischen, verniedlichenden Landessprache und damit der Selbstironie – da wird dann aus einem veritablen Schlaganfall ein „Schlägle“, und alles Gedruckte dieser Welt erscheint sofort nicht mehr gar so trocken und ernst: Werner Kocwara hat es für uns mal wieder ad absurdum geführt, das „Gelée royale“ der Juristensprache. Wir sind für den nächsten Behördengang jedenfalls gewappnet. Bis zum nächsten Mal, wenn es mit dem neuen Programm heißen soll: „Für eine Handvoll Trollinger“. Klingt irgendwie nach Western. Go West, young man, go to Schwaben!

Thomas Lochte, 14.05.2017


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.