Nach(t)kritik
Reiste ab...
Veranstaltung: Franziska Bronnen: "Bummel durch Europa" von Mark TwainAm schlimmsten muss die Begegnung mit der deutschen Sprache gewesen sein: unsystematisch sei sie und schlüpfrig, bekundet der amerikanische Schriftsteller Mark Twain, unendliche Satzgetüme stapelten sich übereinander und ineinander, bis endlich das schon nicht mehr erwartete Verb komme. Das dann nicht selten als getrenntes Verb auftritt, wie bei „reiste ab“. Das Beispiel, das Twain dann liefert, ist ebenso eindrucksvoll wie urkomisch: „Die Koffer waren gepackt, und er reiste, nachdem er seine Mutter und seine Schwestern geküsst und noch ein letztes Mal sein angebetetes Gretchen an sich gedrückt hatte, das, in schlichten weißen Musselin gekleidet und mit einer einzelnen Nachthyazinthe im üppigen braunen Haar, kraftlos die Treppe herabgetaumelt war, immer noch blass von dem Entsetzen und der Aufregung des vorangegangenen Abends, aber voller Sehnsucht, ihren armen schmerzenden Kopf noch einmal an die Brust des Mannes zu legen, den sie mehr als ihr eigenes Leben liebte, ab.“
Franziska Bronnen, die am Donnerstagabend in der bar rosso zu einem „Bummel durch Europa“ einlud, las diese und andere Auszüge aus Mark Twains Werk gleichen Titels mit so feiner Ironie, dass Twains spitze Feder hör- und spürbar wurde. Die Schauspielerin hat bei ihrer Auswahl den Schwerpunkt auf die deutschen Etappen der Europa-Reise Twains gelegt und diese Stationen mit gutem Gespür für den besonderen Blick dieses Schriftstellers zu einer knapp 90-minütigen Fassung konzentriert.
Ein Amerikaner in Europa - das ist in diesen Tagen schwer zu trennen von dem pöbelnden „Make America great again“ des künftigen Bewohners des Weißen Hauses. Doch es gab - und gibt - andere Amerikaner, die dieses merkwürdige Europa mit seiner langen, wilden Geschichte interessierte und interessiert - ja: neugierig macht. So neugierig, dass sie sich vornehmen, zu Fuß über den alten Kontinent zu wandern und, wie im Falle Mark Twains, dann doch auf die Erzeugnisse europäischer Ingenieurskunst zurückzugreifen und einen Zug zu besteigen, ein Vehikel zu nehmen. So kamen Twain und sein Reisebegleiter nach Frankfurt, wo sie das Goethehaus besichtigten; nach Heidelberg, wo die Straßen belebt waren von den Studenten, die hier umherbummelten; nach Mannheim, wo ein Besuch der Oper „Lohengrin“ Assoziationen an eine schmerzhafte Zahnbehandlung weckte. Schließlich erreichte der amerikanische Freund, ehe er die Heimreise zurück in die Neue Welt antrat, als letzte Station München. Eine Stadt, deren reges Kulturleben ihm Anlass zu Betrachtungen über den Umgang mit Kunsterlebnissen wie Konzerten oder einmal mehr der Oper bot. Man höre, schreibt er, in Deutschland bei musikalischen Aufführungen doch tatsächlich immer den Schlusston, da hier das Publikum noch ergriffen bis dahin lausche und nicht schon vor Senken des Taktstocks in frenetischen, alles noch Folgende übertönenden Applaus ausbreche. Und dann schildert er, wie König Ludwig II. als einziger Zuschauer eine Oper anschaut und sein ganz privates Da Capo genießt für all die Blitz-und-Donner-Szenen, die Wasserläufe aus dem Schnürboden und andere Naturschauspiele.
Dieser „Bummel durch Europa“ mit dem Schwerpunkt Deutschland, den Franziska Bronnen hier gemeinsam mit dem Publikum an Mark Twains Seite unternimmt, ist ein höchst unterhaltsamer, sehr kluger Ausflug in eine Welt, die sowohl den Bewohnern hierzulande als auch den Besuchern aus Amerika den Spiegel vorhält - mit einem Augenzwinkern. Schließlich haben beide Seiten doch viel gemeinsam, auch wenn die deutsche Sprache dies weit komplizierter ausdrückt. Aber eben oft auch weit poetischer.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.