Nach(t)kritik
Solisten beflügeln Quartett
Veranstaltung: Festival der ARD-Preisträger*innen: Streichquartett, Flöte, KlavierAuch wenn er beim wunderbar verhangenen Thema noch gar nicht mitspielen durfte: Vor der ersten Variation von „Thema und Variationen für Flöte und Streichquartett“ der amerikanischen Komponistin Amy Beach (1867-1944), deren Kammermusik endlich häufiger gespielt wird, setzt Yubeen Kim mit einem traumverlorenen Flöten-Solo ein, das wie aus einem fernen Kulturkreis zu stammen scheint. Auch danach bleibt er mit großer Musikalität und Finesse des Spiels die feine Würze zum Streicherklang des Chaos String Quartet. Das entlockte dem trotz großer Variationsbreite in den Tempi im Grund tief schwermütigen Stück sanfte, dunkle Farben und ließ sich vom Flötisten immer wieder in andere Welten entführen. Was für eine in jeder Hinsicht spannende Entdeckung eines Werks, das man gerne häufiger, aber dann immer so gut wie in Gauting hören würde!
Am Ende des Konzerts mit Preisträgerinnen und Preisträgern des ARD-Musikwettbewerbs 2022 in München war es wieder ein Solist namens Kim, diesmal Junhyung Kim, ebenfalls zweiter Preisträger, der als Pianist der Kapitän war auf einer schönen Reise mit dem Klavierquintett Es-Dur op. 44 von Robert Schumann (1810-1856). Wie schnell tragen sonst alle in diesem großartigen romantischen Werk zu viel auf, verführen sich gegenseitig zu mehr Ton und Lautstärke. Doch nichts von alledem, sondern ein konzentriertes, feines miteinander Musizieren in so unterschiedlichen, aber stets (beziehungs-)reichen Sätzen: vom Kopfsatz, in dem alle Fünf ebenso leidenschaftlich wie immer wieder zärtlich miteinander reden, über den eigentümlich sanft tröstlichen (Trauer-)Marsch des langsamen Satzes und das wild vorwärtsdrängende Scherzo, nicht zu reden vom Finale, das noch einmal alle Kräfte bündelt. Jeder der Fünf war ein expressiver Solist, der feine Farben wie klare Impulse beisteuern konnte und doch bildeten sie zusammen ein schönes, homogenes Quintett!
Zuvor widmete sich Junhyung Kim, der schon beim Wettbewerb als wunderbarer Musiker aufgefallen war, einer der Etüden von György Ligeti, der Nr. 13 mit dem Titel „l’escalier du diable“. Das könnte man mit „Die Teufelstreppe“ übersetzen, und so klangen die sieben atemlos gestanzten Minuten auch: Das Klavier als stählernes Percussionsinstrument, dem keine Seele innezuwohnen schien und das sich am Ende in einem diffusen Cluster-Nebel auflöst wie ein Vampyr im ersten Morgenlicht. Das war brillant gespielt und ziemlich unheimlich.
Neben Amy Beachs Flöten-Quartett offenbarte sich das Trio von Nino Rota (1911-1979) als etwas Besonderes und ebenfalls eine Entdeckung. Der vor allem durch seine großartige Filmmusik etwa für Federico Fellini bekannt gewordenen Italiener komponierte da ein Stück, das in fast jeder Phrase eine neue Wendung nahm. Ein – mit Verlaub – farbiger Film, der in jedem Hörer wohl anders aussah, nahm immer mehr Gestalt an, ohne dass man die Bilder zu fassen bekam.
Ein Werk gab es freilich auch an diesem reichen Abend, das so gar nicht faszinieren wollte und brav wie eine Schüler-Aufführung daherkam: Das Chaos String Quartet, 2022 dritter Preisträger im Fach Streichquartett musizierten es mit wenig Glanz im Klang, kaum Plastizität in der Phrasierung und so uncharakteristisch farblosem Ausdruck, dass kein Funke übersprang. Nun ist das erste Streichquartett des 28-jährigen Ludwig van Beethoven (1770-1827) op. 18/3 zwar auch kein derart faszinierend reiches Stück wie seine späteren Meisterwerke für diese Gattung, aber gerade deshalb verlangt es viel Zuwendung, um ihm gerecht werden zu können. Doch am Ende des Konzerts war diese seltsame Leerstelle vergessen und in Erinnerung bleibt das großartige Musizieren in Kammermusik unterschiedlichster Besetzung.
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