Nach(t)kritik
Spielerische Brüder
Veranstaltung: Wassily Gerassimez, Nicolai Gerassimez & Alexej Gerassimez: Bach, Koppel, A. Gerassimez, W. Gerassimez, Tschaikowsky, Reich, SammutDie Zugabe war der Clou schlechthin: Wassily Gerassimez sitzt am Cello, derweilen ihn seine Brüder Nicolai Gerassimez (sonst Klavier) und Alexej Gerassimez (sonst kleine Trommel, Vibra- oder Marimbaphon) von der Seite an seinem Instrument zupfend oder schlagend bedrängen. Zu dritt geben sie den Ravel‘schen Boléro in knackiger Kurzfassung und einer Konzentration, wie sie knapper nicht denkbar ist und doch alles Essentielle des Stücks enthält. Das war das Ende eines herrlich kurzweiligen, spritzigen Abends, der ganz seriös melodiös und kontrapunktisch begann: Bei Präludium (BWV 881) und Fuge (BWV 867) von Johann Sebastian Bach in Bearbeitung für Cello, Vibraphon und Klavier konnte man sich noch entspannt zurücklehnen und so etwas wie eine moderne Trio-Sonate erleben.
Doch schon Asventuras, Alexej Gerassimez‘ Stück für Snare Drum (kleine Trommel) und längst zum Pflichtstück beim ARD-Musikwettbewerb geworden (bei dem 2014 Alexej den 2. Preis gewann) ließ den Hörer auf der Stuhlkante sitzen. Der erlebte ein Feuerwerk an gewischten, geklopften und geradezu gehämmerten „Klängen“ in rasanter Geschwindigkeit. Und konnte sich vorstellen, wie es ist, wenn man als blutjunger angehender Schlagzeuger sich tage- und nächte-, wochen- und monatelang im stillen Kämmerlein an diesem Instrument in Geschwindigkeit und Technik vervollkommnen muss, wie Alexej erzählte.
Ein beinahe traditionelles Intermezzo war Peter Tschaikowskys Pezzo Cappricioso op. 62, komponiert für einen schwerkranken Freund, den er 1887 in Aachen besuchte: ein virtuoser Mittelteil, bei dem Wassily zeigen konnte, was er alles an seinem Instrument draufhat, wurde gerahmt von eher beruhigender Poesie, die dem Freund hoffentlich nicht nur seelische Stärke gegeben hat. Nicolai war da – und nicht nur hier – der am Flügel ausnehmend fein und klangschön modellierende Partner.
Bei Music for Pieces of Wood von John Cage kam dann wieder allerlei (hölzernes) simples Schlagwerk ins Spiel. Hohe Konzentration musste bei Musikern wie Zuhörern herrschen, denn nicht nur im Klöppeln der stets gleichen rhythmischen Muster, allerdings in verschieden wechselnden Takt-Arten, kann man schnell aus der Kurve fliegen. Alexej war dabei an der kleinen Trommel gleich für drei Stimmen zuständig, ist das Stück doch eigentlich für fünf Spieler komponiert. Aber das soll den Brüdern, für deren rhythmische Erziehung er sich verantwortlich fühlt, wohl auch zeigen, wo das Hammer hängt!
Ganz anders wieder Eric Sammuts Bearbeitung von Astor Piazzollas Libertango für Cello und Marimbaphon sowie Piazonore oder „Piazzolla-Unfall“, so von Komponist Alexej Gerassimez launig erläutert; wie überhaupt alle drei eloquent und witzig durch’s Programm führten. Und das in akzentfreiem Deutsch! Denn die Brüder haben zwar einen russischen Großpapa, sind aber in Deutschland aufgewachsen und können – kein Wort Russisch! Für einen „Unfall“ respektive die Abfall-Produkte einer Piazzolla-Bearbeitung war das Stück freilich ausnehmend elegant, ja süffig, und wurde von den Dreien auch ebenso geschmeidig präsentiert.
Zwei Stücke von Wassily folgten zum Beschluss: Melancholia, bei deren Trauer, gefolgt von Wut, die wieder in Beinahe-Gelassenheit mündete, Alexej am Marimbaphon brüderlichen Rückhalt geben durfte, während bei Transition in Bearbeitung für Trio die Brüder im fliegenden Wechsel ihre drei Instrumente zum vielstimmig jazzigen Erklingen brachten. Gerne hätte man noch lange weiter zugehört, aber es gibt ja Einiges aus dem Programm und noch vieles Mehr auf CD und DVD!
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