Nach(t)kritik
Spuren im Weiß
Veranstaltung: Toni Schade: NeonaturEin Garagenhof vor einer Hochhaussiedlung, fünf weiße, gleichförmige Garagentore, drei weiße Wohntürme, einzig ein sprirriger Baum trägt etwas Grün. Ein pilzgleiches weißes Betongebäude inmitten einer weißen Schneelandschaft - zur Tunnellüftung gedacht. Ein anderes weißes Gebäude im Schnee, von roten, Rechenkästchen gleichen Metallstreben durchzogen die Glasfront dieses Wartungshäuschens - ein weißer Hund stromert davor durch den Schnee. „Neonatur“, nennt der in Gauting aufgewachsene Architekt und Fotograf Toni Schade die Ausstellung, die am Dienstagabend im Rahmen des Themenschwerpunktes „Mensch im Anthropozän“ in der bar rosso eröffnet wurde und dort bis zum 23. März zu sehen ist.
„Wir bewegen uns in einer Neonatur“, sagt Schade im Gespräch mit Architekt und Stadtplaner Andreas Romero bei der Eröffnung, „seit Jahrtausenden hat der Mensch sich in Naturräumen bewegt und erst seit einer vergleichsweise kurzen Zeit in von ihm geschaffenen urbanen Räumen.“ Ihn habe interessiert, dem fotografisch nachzuspüren, woher wir eigentlich kommen und wo wir uns heute bewegen.
Seine Bilder sind durch eine diffuse Grundkälte charakterisiert: über zumeist weißen Räumen steht ein nahezu farbloser, weiß anmutender Himmel, der von wenigen Ausnahmen abgesehen - mindestens die Hälfte des Bildes einnimmt. Nur selten sind Menschen zu sehen: mal durchquert ein von hinten zu erkennender Mann einen Hinterhof, mal lehnt ein ebenfalls von schräg hinten zu sehender Mensch an einer hellen Hauswand. Die Naturräume dagegen sind menschenleer, hier zeugen einzig die Gebäude von ihrer Anwesenheit. Alle urbanen Szenen zeigen Zwischenräume: Hinterhöfe, Wege zwischen Mauern, Straßenecken. Keiner dieser Orte lädt zum Aufenthalt ein, eher sind es Fluchten - Passagen, die mit dem Begriff „Seßhaft“ sich nciht verbinden wollen, obwohl sie eben diesem Phänomen entspringen.
Aber auch die Naturräume haben nichts idyllisches, wirken abweisend, schroff. Dieser Eindruck vermittelt sich vor allem durch die kantig in die Landschaft hineingefrästen Gebäude, die etwas Narbenartiges haben, Auswürfe aus Beton. Und doch ist alles Natur, auch das von Menschen Geschaffene - da es von ihnen geschaffen wurde.
Das Besondere an „Neonatur“ ist der Blick des Architekten, der zugleich Fotograf ist. Mit diesem Blick widmet Toni Schade sich dem, wie Menschen seit ihrem Bestreben, sich anzusiedeln, diese Siedlungsräume gestalten. Was zu Beginn der Geschichte der Seßhaftigkeit ein „Abtrotzen“ war, ein Versuch, sich in einer überwiegend feindlichen Natur zu behaupten, wurde im Lauf dieser Geschichte ein sich allzu selbstverständliches Ausbreiten in Lebensräumen, die schon aufgrund der schieren Überbevölkerung immer enger werden. Und doch sind alle diese Räume Natur - Neonatur.
Die anwesenden Besucherinnen und Besucher der Eröffnungsveranstaltung nahmen am Gespräch zwischen den beiden Architekten mit eigenen Beobachtungen und Anmerkungen zum Verhältnis Mensch und (Natur-)Umgebung begeistert teil, so dass Anlass zur Hoffnung besteht, dass sie genauso interessiert das engagierte Rahmenprogramm zu diesem Themenschwerpunkt wahrnehmen werden. Als nächstes findet am Freitag, den 2. Februar ein Kurzfilmabend im bosco statt: die Internationale Kurzfimwoche Regensbugr ist mit sieben Kurzfilmen aus der ganzen Welt zu Gast in Gauting. Und am Sonntag, den 3. März führt Toni Schade selber durch seine Ausstellung - hier ist eine Anmeldung im Büro des bosco erwünscht.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.