Nach(t)kritik
Take Three
Veranstaltung: David Helbock´s Random/Control: Tour d’Horizon (from Brubeck to Zawinul)Es sah phasenweise so aus, als beugte sich ein Mechaniker bei geöffneter Motorklappe über den Vergaser eines havarierten Autos, während ein Zweiter den Ölstand prüfte und ein Dritter die Zündung probierte: Bei „David Halbock´s Random Control“ sind solche Szenen keine Seltenheit – nur dass die drei Musiker gemeinschaftlich einen Konzertflügel bearbeiteten und kein Auto. Die „Drei von der Tankstelle“ waren in diesem Moment David Helbock (sitzend am Piano), Johannes Bär (in den Innereien des Flügels percussiv tätig) sowie Andreas Broger (außen mit Schlagstöckchen aktiv) – eine Kostprobe der Neuinterpretation des Pianoforte als Saiten- und Schlag- und Tasteninstrument in einem, gleichsam als „eierlegende Wollmilchsau“. Um auch nur einigermaßen erklären zu können, was die drei Österreicher da treiben, muss man sich vielleicht dem Begriff „Random Control“ annähern, den das Trio im Namen führt: Soll er so viel bedeuten wie „zufallsgesteuerte Wiedergabe“ oder doch eher „unangekündigte Kontrolle“ im Sinne eines willentlichen Eingriffs in ein vermeintliches musikalisches Chaos? Mit „Random Control“ könnte laut Lexikon auch die Anzeige der Zufallsspannung an einer Strom-Buchse gemeint sein – damit haben Musiker wie Halbock, Broger und Bär ja beruflich auch zu tun.
Wie dem auch sei – das Hör-Ergebnis wie auch das optische Spektakel bei einem Stück wie „Bolivia“ (die Szene mit der Pitstop-artigen „Flügel-Wartung“) ist beeindruckend: Das kompositorische Mastermind Helbock (kürzlich sogar beim Auftritt des Duos Kian Soltani und Aaron Pilsan zitiert) hat sich auch bei der jüngsten CD „Tour d ´horizon – from Brubeck to Zawinul“ seine Lieblingsjazzpianisten vorgenommen, als wäre eine Inspektion fällig. Da wird Dave Brubecks „Take Five“-Thema mit frischen Zündkerzen versorgt – Take Three sozusagen, da erfährt „My Song“ von Keith Jarrett eine Art Batterie-Aufladung, und der „African Marketplace“ eines Abdullah Ibrahim kommt modern statt rein spirituell daher. Gil Evans´ „Blue in Green“ erfährt eine tiefe Verbeugung, „In A Sentimental Mood“ von Duke Ellington nicht minder. Helbock & Co. doppeln die Vorbilder sogar instrumental, geben ihnen die Kraft von bis zu 24 Instrumenten. Da wechselt Broger mitten im Stück von Saxophon zu Klarinette und wieder zurück, da traktiert Bär quasi sein Voice-Mikro wie eine Beatbox, während er die klassische Percussion in Form von Becken und Rasseln auf Ober- und Unterschenkel montiert hat – er hat ja auch sonst alle Hände voll zu tun, wenn er Sousaphon, Flügelhorn, Didgeridoo und sogar ein Alphorn bedient. Helbock erzeugt dazu mittels „Inside Piano“ und elektronischen Echo/Verzerrer/Dubbing-Effekte Klangformen, die dem orthodoxen Klavierkang quasi ein zweites Parallel-Ich verpassen. Mit Hilfe solcher Technik gelingen Stücke, die sich wie aus einem vielstimmigen Dschungel auf einmal zu Latin-Strukturen bündeln und einen den Atem anhalten lassen. Arrangements von beglückender Konsequenz.
Dass diese „Tour d´horizon“ u.a. bei den großen brasilianischen Meistern vorbeiführen würde, war klar: „David Helbock´s Random Control“ gastierte in diesem Jahr physisch auch noch in Italien, Singapur, Norwegen, Belgien, Portugal, Frankreich, der Schweiz, Österreich, Bulgarien, Ägypten, Dänemark. Estland, Lettland, der Ukraine, den Niederlanden – und nun eben in Gauting, das sich auf darauf durchaus etwas einbilden darf. David Helbock trug übrigens als wärmendes Statement eine Strickmütze mit Klaviertasten-Motiv, eine schöne Botschaft „bestrickenden Weltenbummlertums“!
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.