Nach(t)kritik
Ticks, Tricks und Tiefe
Veranstaltung: Gerd Holzheimer "Die Liebe höret nimmer auf" (2): Schau mir in die Augen – Die reife Liebe
Was ist eine reife Liebe? Immer wieder im Laufe des Abends stellen Schauspielerin Judith Huber und Literaturwissenschaftler Gerd Holzheimer anhand von ausgewählten Beispielen aus der Literatur und dem Nachdenken darüber sich und dem Publikum diese Frage. Es ist der zweite Teil der von Holzheimer zusammengestellten Reihe unter dem Titel „Die Liebe höret nimmer auf“, diesmal ging es um die „Reife Liebe“. Von der Bibel über Platon und das Nibelungenlied zu D.H. Lawrence und Robert Walser wurden Spielarten der Liebe betrachtet unter dem Aspekt „reif“ - ein schwieriger Begriff, wie sich bald zeigen sollte.
Am Anfang stand Goethe. „Warum gabst du uns die tiefen Blicke,/Unsre Zukunft ahndungsvoll zu schaun,/Unsrer Liebe, unsrem Erdenglücke/Wähnend selig nimmer hinzutraun?“ sinniert der große Dichter und benennt im Gedicht das Dilemma der denkend Liebenden, liebend Denkenden, die ihre Gefühle nicht allein empfinden, sondern zugleich reflektieren müssen. Das scheint ein Zusammenhang zum Zustand der Reife zu sein: die reflektierte, reflektierende Liebe.
Während die Bibel mit dem Hohelied sehr poetisch die Genüsse der Liebe benennt und die antiken Philosophen über die Teilung des Menschen in Mann und Frau bildreich sinnieren, berichten die Dichter bereits über eine besondere Spielart der reifen Liebe: den Trick. In der Illias ist dieser Trick weiblich geprägt und führt den männlichen Göttervater, der bekanntlich oft triebgesteuert unterwegs ist, nach Strich und Faden und weiblicher Überlegenheit vor. Aber auch im Nibelungenlied arbeiten die Liebenden mit Tricks und Fallen, hier durchaus von Seiten beiderlei Geschlechts.
Die Moderne erzählt von einer anderen Spielart der reifen Liebe und übersetzt diese in Verantwortung, gar Verzicht. D.H. Lawrence, der laut Holzheimer ein großer Liebhaber der bayerischen Landschaft war und hier sogar seine Liebe zu einer verheirateten Frau fand (die dann für ihn ihre Familie verließ), gestaltet in seinem Roman „Lady Chatterley´s Lover“ den Konflikt um einen Ehebruch auf eine sehr vernunftorientierte Weise. Judith Huber liest eine Szene, in der Sir Clifford Chatterley, aufgrund einer Kriegsverletzung gelähmt und impotent, seine Frau Connie aus Gründen der Vernunft freigibt, damit sie Kinder bekommen kann.
Weniger vernünftig, aber dennoch überlegt erscheint das Lieben und Liebesleben der Gräfin Franziska zu Reventlow, die die Männer ihres Lebens in Kategorien unterteilt. Da gibt es beispielsweise die Kategorie „Paul“: Männer, die man vorzugsweise auf Reisen trifft, die gutgelaunt und zu Späßen aufgelegt sind und von großem Unterhaltungswert. Den hatte die von Judith Huber gelesene Szene auch für das Publikum.
Am Ende zeugte ein portugiesisches Lied, abgespielt in der bar rosso, von einer reifen Liebe, die sich am besten singen lässt. „Maria Lisboa“ klingt, gesungen von der portugiesischen Sängerin Marisa, nach vielen traurigen und glücklichen Lieben und der Erfahrung, dass man trotz vielem Leids nicht ohne sie auskommt. Und auch das ist Reife.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.