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Nach(t)kritik

Di, 05.03.2024
20.00 Uhr

Vielklang zu sechst

Veranstaltung: Armida Quartett, Jonathan Brown, Viola & Eckart Runge, Violoncello: Strauss, Brahms und Schönberg

Johannes Brahms, Arnold Schönberg, Richard Strauss: So unterschiedlich diese Komponisten auch sind, ihre Streichsextette, entstanden 1864/65, 1899 und 1942 scheinen sich perfekt zu ergänzen, changieren sie doch alle drei zwischen Kammer- und beinahe Orchestermusik und sind im weitesten Sinne der Romantik zuzuordnen. Aber dass man immer wieder Bezüge zu hören glaubte, lag wohl auch am Armida Quartett, das zusammen mit Jonathan Brown (Bratsche) und Eckart Runge (Cello) bei keinem Ton, keinem Akkord und keiner Phrase nur an der Oberfläche blieb, sondern immer einen komplexen Untergrund mitschwingen ließ.

Das am spätesten, mitten im zweiten Weltkrieg entstandene Sextett, Vorspiel zur Oper Capriccio von Richard Strauss, stellt zugleich Bühnenmusik dar, weil der Vorhang bereits offen ist und es Zuhörer gibt. Neben allem Wohlklang schimmert immer wieder feine Ironie durch, nimmt der lebendige Mittelteil durchaus etwas von den Verwicklungen der Handlung vorweg. Und doch bleibt alles  L’art pour L’art mit dem zugleich süffigen wie mürben Ton eines greisen Komponisten, der mit Wehmut, aber auch enormem Selbstbewusstsein zurückblickt.

Dagegen ist Verklärte Nacht des gerade mal 25 Jahre jungen Arnold Schönberg nicht nur feinste Spätestromantik mit etlichen Ausschlägen an die Ränder der Tonalität und damit Aufbruch zu etwas Neuem, sondern auch Programmmusik allererster Güte. Denn geschildert wird in faszinierenden Tönen  nach dem gleichnamigen Gedicht von Richard Dehmel wie eine Frau beim nächtlichen Spaziergang ihrem Geliebten gesteht, dass sie das Kind eines anderen Mannes erwartet. Nach kurzem Zögern bekräftigt der Geliebte, dass er das Kind des fremden Mannes als sein eigenes anerkennen werde.

Im Bosco war dieses so vielschichtige und musikalisch reiche Stück das Hauptwerk nach der Pause und man mochte meinen, dass die sechs  es nicht nur minutiös geprobt, sondern schon oft gemeinsam gespielt haben, denn jede Phrase, jeder Akkord und jedes Solo hatten eine ungeheure Präsenz. Alles wirkte zwingend, ebenso homogen wie plastisch, ja  war buchstäblich sprechend. So konnte man den wechselnden Gefühlen zwischen Bangen, Hoffen und seliger Erleichterung, aber auch den imaginären Stimmen von Mann und Frau (und sogar ihren  abschweifenden, unausgesprochenen Gedanken) folgen, als wäre man selbst ein Seismograph, der das alles aufzeichnet. Martin Funda und Johanna Staemmler (Geigen), Teresa Schwamm-Biskamp und Jonathan Brown (Bratschen) sowie Peter-Philipp Staemmler und Eckart Runge (Celli) waren zugleich wunderbare Solisten wie fantastische Kammer- und manchmal fast Orchestermusiker.

Das konnte man schon zu Beginn bei Strauss zu hören. Da allerdings war Funda tatsächlich noch der mit exquisit sanft-herber Süße seine fünf Mitstreiter zu ebenso großem Schönklang verführende Primarius,  während er schon bei den vier Sätzen des zweiten Brahms-Sextetts in G-Dur op. 36 Primus inter pares war. Auch hier grenzte es an ein Wunder, dass der dichte sechsstimmige Satz immer herrlich durchsichtig blieb, ja räumlich gestaffelt schien. Fast glaubte man, jede Stimme nicht nur als gleichberechtigt zu erleben, sondern gleichsam sechsstimmig zu hören. Das muss einem Sextett, das nicht täglich gemeinsam üben und so mit jedem Tag mehr reifen kann, erst einmal gelingen.

Auch hier war berückend, wie fein etwa Martin Funda den Schubert-Ton des Beginns traf, wie die weiteren Entwicklungen aber von allen getragen wurden und jeder in jedem Moment wusste, ob er Haupt- oder Begleitstimme ist oder zu einem Vielklang etwas ganz Besonderes und Eigenes beitragen darf und muss. So waren die Eckteile des Scherzos von feiner Poesie durchdrungen, gelang das Presto giocoso des Trios geradezu flammend und changierte das Finale zwischen Mendelssohn‘schem Elfentanz und großer Intensität.

 


Klaus Kalchschmid, 05.03.2024


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Di, 05.03.2024 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.