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Nach(t)kritik

Fr, 27.10.2023
20.00 Uhr

Vom Leuchten der Kohle

Veranstaltung: Lesung zum Themenschwerpunkt: "Der Held und seine Heizung. Brennstoffe der Literatur" von Susanne Stephan

Angetrieben durch Umweltbewegungen und in den letzten Jahren wieder durch Protestaktionen und Räumungen derselben ins öffentliche Licht gerückt, drängt sich die Frage nach dem Ende des fossilen Zeitalters als eine der wichtigsten Fragen unserer Zeit verstärkt in den Vordergrund des öffentlichen Diskurses. Ausdrucksstark darf man dies bereits in Form der Fotoausstellung „Niemandsland“ von Daniel Chatard im Haus betrachten. Unter diesem Thema las die Autorin Susanne Stephan aus ihrem Buch „Der Held und seine Heizung. Brennstoffe der Literatur“ vor. Darin beschäftigt sich die Autorin mit den Spuren des Übergangs vom Holzzeitalter hin zum fossilen Zeitalter und untersucht die Rolle der Brennstoffe in den literarischen Werken großer Autor*innen, von Novalis bis Gundermann.
Das Ende des fossilenergetischen Zeitalters ist längst eingeläutet, eine Transformation ist nötig, das ist allen an diesem Abend bewusst. Auch lässt einen das aktuelle Weltgeschehen erinnern, das viele Konflikte mit fossilen Brennstoffen zu tun haben, erläutert Susanne Stephan und weist beispielsweise auf Russland und den Iran hin. Das Dörfer weggebaggert werden, so die Autorin weiter, gehöre schon lange zu unserem Zeitgeschehen, auch ist der Braunkohleabbau nicht neu, schon immer sei unsere Abhängigkeit davon das Problem. Wie aber verhält es sich mit der Frage nach Energietransfomationen in der Literaturgeschichte, war dies doch stets eine Frage, die die Menschen umhertrieb. So auch Susanne Stephan, die selbst im Umfeld dieser ständigen Frage aufgewachsen sei, mit einem im Kernkraftwerk arbeitenden Vater und einem gegen Atomwaffen protestierenden Freundeskreis. So macht sich die Autorin also auf die Spurensuche in der Literaturgeschichte und nimmt das Publikum an diesem Abend auf eine kurze Reise durch eben diese mit.
Ein kleiner Blick ins Vorwort beweist, auch Rilke hat die Energiefrage herumgetrieben; Holz, Torf und Kohle wurden durch Erdöl und -gas ersetzt, die Ignoranz gegenüber den damit einhergehenden Folgeschäden wurde durch eine vermeintliche energetische Freiheit und Bequemlichkeit ersetzt. Auch Heine bemerkte den Übergang vom Staatsschiff zum Dampfboot und hielt fest, der Kapitän schwitze auf letzterem „vor Hitze und Sorge“. Die Suche nach den jeweiligen energetischen Situationen innerhalb der literarischen Werke sei auch stets eine Suche nach dem Feuer, so Susanne Stephan.
Große Aufmerksamkeit schenkt die Autorin Novalis, der selbst Zeitzeuge von ersten durch Energiebeschaffung angetriebenen Umsiedlungen war und früh seine Suche nach der Braunkohle als Energieersatz für Holzkohle und als vernünftige Entscheidung zugunsten des Staates beginnt. In einem Brief an einen vorgesetzten Finanzrat schildert Novalis um 1800 unter seinem bürgerlichen Namen seine Ideen über Braunkohlebeschaffung zur Energieversorgung und fordert dafür Gebirgsuntersuchungen. Novalis ist also ein erster Braunkohlepionier, der damals noch nicht ahnen konnte, dass dies die neue Welt der Industrialisierung und Elektrifizierung einläuten sollte - eine Welt, in der wir immer noch leben. Das Leben, so schildert die Autorin nach Novalis, sei ein Feurprozess: um Geschichte voranzutreiben muss Energie geschaffen werden.
Ob fokussiert oder beiläufig, die von Susanne Stephan beschriebenen Motive in der Literaturgeschichte charakterisieren Spuren zu einem energetischem Kontext. Diese findet sie auch bei Gundermann, der in seinen Liedtexten nach Alternativen zum Kohleabbau sucht. In einer 1989 gehaltenen Rede beschreibt Gundermann den energetischen Teufelskreis, zu dem er sich gezwungen sieht: sein Haus werde mit der Energie der Kohle versorgt, die er unter seinem Schaufelradbagger abbaut, und gleichzeitig müsse in spätestens 25 Jahren eben dieses Haus dem Abbau weichen und abgerissen werden. Dieses aggressive Potential des Brennstoffes birgt Zukunftsängste, die sich in unserer jetzigen Zeit längst zur Realität verwandelt haben.
Solche Spuren findet Susanne Stephan bis in die zeitgenössische Literatur und verweist auf Motive in Romanen von beispielsweise Ulrike Almut Sandig. Aber ihre Suche ist auch eine nach Alternativen, Andrei Platonow sieht seinerzeit bereits ein alternatives Versorgungssystem voraus, das sich der Energie des Sonnenlichts bedient, eine frühe Idee für solare Energie.
In ihrer kurzweiligen und spannenden Lesung erwähnt Susanne Stephan auch noch weitere Formen von Energie, die sich in literarischen Motiven niederschlagen, vom Waltran in Melvilles „Moby Dick“, über den Torf bei Storm und Fontane, das Erdöl bei Sinclair Lewis bis hin zum Uran in Wells „befreiter Welt“. Eine umfassende Spurensuche also, die große Lust darauf macht, ihr Buch in Gänze zu lesen und sich mit ihr auf diese Suche nach dem Leuchten der Schlaglichter auf Energiemotive des Literaturkanons zu begeben.

Amos Ostermeier, 28.10.2023


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Fr, 27.10.2023 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.