Nach(t)kritik
Vom Zaun zum Delta
Veranstaltung: Gerd Holzheimer: Alles fliesst: Der MississippiVom Zaun zum Delta: Mississippi
Vermutlich sehen die allermeisten Literaturfreunde, wenn sie an den Mississippi denken, vor ihrem inneren Auge einen Zaun. Einen Zaun, den zu streichen die reinste Lust sein muss, ein durch nichts zu überbietendes Vergnügen. Um in den Genuss zu kommen, diesen Zaun streichen zu dürfen, würde man alles geben. Einen Apfel. Die besten Murmeln. Eine tote Ratte am Band. Und noch weit größere Schätze. Ein Pinsel, ein Eimer weißer Kalkfarbe und ein Zaun. Und irgendwo dahinter der Mississippi. Logisch, dass Mark Twains Geschichte von „Tom Sawyer“ am Anfang dieses letzten Teils der Reihe „Poetische Flusslandschaften“ steht. Gerd Holzheimer, Lotse auf den literaturstiftenden Flüssen dieser Welt, hat ein Buch mit dem wüsten Konterfei des gelernten Setzers, Druckers, Journalisten, Verlegers, Mississippi-Lotsen und Schriftstellers Mark Twain auf den Tisch vor sich gestellt. Und Schauspielerin Esther Kuhn liest die berühmte Zaunszene – in der Neuübersetzung von Andreas Nohl – so neugierig und lausbubenfrech, dass man am liebsten gleich das ganze Buch gehört hätte.
Tatsächlich bot das Werk des Mark Twain – sein Pseudonym ist übrigens eine Anspielung auf die Tätigkeit der Lotsen auf dem Mississippi, die mit einem Senkblei die Untiefen des Flusses zu ermessen hatten, zu markieren eben – so etwas wie eine Quelle des erzählerischen Flusses der amerikanischen Moderne. Die ganze neuere amerikanische Literatur stamme von diesem Buch, dem „Tom Sawyer“ her, sagte kein Geringerer als Ernest Hemingway. So lassen sich die weiteren literarischen Zeugnisse dieses Abends, die sich alle entweder um den Mississippi ranken oder zumindest an dessen Ufern entstanden sind, als Nebenarme, Weiter-Flüsse, mäandernde Flusswege dieser großen, großartigen Quelle lesen. William Least Heat-Moon, beispielsweise, der in Missouri aufwuchs und mit seinem Werk eine besondere Form der Literatur gewordenen Landschaftserfahrung entwickelte. „Geopoetik“, nennt Gerd Holzheimer diese Perspektive auf die Naturumgebung. Und eigentlich ist die ganze Reihe der poetischen Flusslandschaften dieser Geopoetik gewidmet und sucht nach Beispielen dafür, auf welche Weise sich Landschaften in den literarischen Diskurs hineingeschrieben haben.
Das kann auf eine sozialkritische Weise geschehen wie in dem berühmten Werk „Onkel Toms Hütte“ von Harriet Beecher Stowe, das den Umgang weißer Südstaatenbewohner mit afroamerikanischen Sklaven zum Thema hat. Die sogenannten „Negermärkte“ in New Orleans haben, neben anderen Beobachtungen, die Schriftstellerin zu ihrem Roman veranlasst. Und auch das ist eine Seite des „Ol` Man River“. Eine andere schlägt der Schriftsteller und Nobelpreisträger William Faulkner auf, der von der Dekadenz und dem Abstieg einst angesehener Südstaatenfamilien erzählt und vom Konflikt zwischen Weissen und Schwarzen.
Alle Flüsse fließen ins Meer. Und wo wäre das – geopoetisch wie landschaftlich – eindrucksvoller zu erleben als beim Mississippi. Schließlich zählt das berühmte Mississippidelta bei New Orleans, wo der Fluss in den Golf von Mexiko mündet, zu einem der größten Mündungsgebiete weltweit. Über den Fluss hinaus ins Meer – wie könnte eine Reihe zu poetischen Flusslandschaften poetischer, erzählerischer enden als hier, wo aus Sprache Musik wurde, wo ein Sound Landschaft wie Lebensgefühl auf den Punkt brachte und damit Rhythmus schuf. Und Rhythmus war schon immer der Beginn der Sprache.
SABINE ZAPLIN
Tatsächlich bot das Werk des Mark Twain – sein Pseudonym ist übrigens eine Anspielung auf die Tätigkeit der Lotsen auf dem Mississippi, die mit einem Senkblei die Untiefen des Flusses zu ermessen hatten, zu markieren eben – so etwas wie eine Quelle des erzählerischen Flusses der amerikanischen Moderne. Die ganze neuere amerikanische Literatur stamme von diesem Buch, dem „Tom Sawyer“ her, sagte kein Geringerer als Ernest Hemingway. So lassen sich die weiteren literarischen Zeugnisse dieses Abends, die sich alle entweder um den Mississippi ranken oder zumindest an dessen Ufern entstanden sind, als Nebenarme, Weiter-Flüsse, mäandernde Flusswege dieser großen, großartigen Quelle lesen. William Least Heat-Moon, beispielsweise, der in Missouri aufwuchs und mit seinem Werk eine besondere Form der Literatur gewordenen Landschaftserfahrung entwickelte. „Geopoetik“, nennt Gerd Holzheimer diese Perspektive auf die Naturumgebung. Und eigentlich ist die ganze Reihe der poetischen Flusslandschaften dieser Geopoetik gewidmet und sucht nach Beispielen dafür, auf welche Weise sich Landschaften in den literarischen Diskurs hineingeschrieben haben.
Das kann auf eine sozialkritische Weise geschehen wie in dem berühmten Werk „Onkel Toms Hütte“ von Harriet Beecher Stowe, das den Umgang weißer Südstaatenbewohner mit afroamerikanischen Sklaven zum Thema hat. Die sogenannten „Negermärkte“ in New Orleans haben, neben anderen Beobachtungen, die Schriftstellerin zu ihrem Roman veranlasst. Und auch das ist eine Seite des „Ol` Man River“. Eine andere schlägt der Schriftsteller und Nobelpreisträger William Faulkner auf, der von der Dekadenz und dem Abstieg einst angesehener Südstaatenfamilien erzählt und vom Konflikt zwischen Weissen und Schwarzen.
Alle Flüsse fließen ins Meer. Und wo wäre das – geopoetisch wie landschaftlich – eindrucksvoller zu erleben als beim Mississippi. Schließlich zählt das berühmte Mississippidelta bei New Orleans, wo der Fluss in den Golf von Mexiko mündet, zu einem der größten Mündungsgebiete weltweit. Über den Fluss hinaus ins Meer – wie könnte eine Reihe zu poetischen Flusslandschaften poetischer, erzählerischer enden als hier, wo aus Sprache Musik wurde, wo ein Sound Landschaft wie Lebensgefühl auf den Punkt brachte und damit Rhythmus schuf. Und Rhythmus war schon immer der Beginn der Sprache.
SABINE ZAPLIN
Sabine Zaplin, 20.03.2015
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.