Nach(t)kritik
Von allzu melancholischen Hunden
Veranstaltung: L'ensemble Wegele-Sagner: StorieEs ist ein undankbarer Job, wenn alle Anwesenden von einem Konzert rückhaltlos begeistert sind, man selber als „Nach(t)kritiker“ diese Begeisterung aber nur bedingt zu teilen vermag: Die hauseigene Ankündigungsprosa des bosco hatte damit gelockt, bei L’Ensemble Wegele-Sagner würden unter der italienischen Überschrift „Storie“ (Geschichten) „Jazz-Elemente, lateinamerikanische oder südost-europäische Rhythmen und freie Improvisationen verschmelzen mit der Artikulationskultur der Berlinerin Annedore Wienert, einer Virtuosin an Oboe und Englischhorn“. So weit, so korrekt. Der am Piano wirkende Ensemble-Leiter Peter Wegele, zugleich Arrangeur der meisten dargebotenen Stücke, hatte an diesem Abend mit Annedore Wienert in der Tat eine Virtuosin an seiner Seite, mit der er vor 18 Jahren zunächst als Duo aufgetreten war, ehe sich mit der Zeit Florian Sagner (Trompete, Congas), Wolfgang Roth (Flöte, Klarinette), Paul Tietze (Bass), und der Gautinger Schlagzeuger Björn Kellerstrass hinzugesellten. Das Sextett brachte in dieser Besetzung wirklich feinste Qualität auf die musikalische Waage – nur leider fehlte über weite Strecken jeglicher Pfeffer, den man gemäß eingangs zitierter Beschreibung hätte erwarten dürfen.
In den erläuternden Worten, die Wegele jeweils den auf der neuen, gleichlautenden CD vertretenen Kompositionen und Bearbeitungen vorausschickte, war recht viel die Rede von der „inspirierenden Wirkung Siziliens“ und von „Italianità“ – doch hörbar wurde dieser Einfluss kaum, allenfalls in ziemlich schleppender Gangart, zu der die drückende Hitze von Palermo einen sicherlich zu zwingen vermag. Als Kronzeugin für das italienische Element führte der Ensemble-Chef die ihm freundschaftlich verbundene Gewinnerin des Kritikerpreises 1989 beim Festival San Remo, Aida Satta Flores an, eine Cantautrice, also selbst schreibende große Sängerin, die so wundervoll melancholische Lieder wie „La solitudine magnifica“ geschaffen hat. L´Ensemble Wegele-Sagner deutete bei diesem Instrumentalcover erstmals an, was unter einem solchen südlichen Himmel alles möglich ist – wenn man halt nicht in deutsche Verkopftheit verfällt. „Das Gefühl süßer Melancholie“, das Wegele anführte, es geriet vor allem im ersten Teil des Konzerts regelmäßig zu bleierner Schwermut, das Tempo heruntergeregelt wie bei einer lustlosen Schülercombo, in der der Langsamste die Schlagzahl bestimmt.
Nun mag ein „reiner Moll-Blues“ (Wegele) wie „Non vero un ré“ naturgemäß keine Gefühlskaskaden bieten, doch wird sogar hier erkennbar, dass Ausbrüche aus der Tristesse jederzeit machbar wären. Die CD „Storie“ wurde u.a. in Sizilien, Tunis und Geretsried produziert, „aus vielen Fitzeln zusammengesetzt“ von Florian Sagner. Dessen Live-Beitrag vor allem an der Trompete wurde im Laufe des Abends immer konturschärfer, ähnlich dem der Oboistin und Englischhorn-Spielerin Annedore Wienert, die bei einem serbischen Elf-Achtel-Stück mit einer Art Kurzflöte und im Zusammenspiel mit Wolfgang Roth wahre Wunderdinge vollbrachte. Der Gautinger Drummer Björn Kellerstrass taute am Ende mit einem knackigen Solo ebenfalls aus der Lethargie auf, und Bassist Paul Tietze war nach seinem Intro zu „La bellezza“ sowieso bereit zu Flotterem – oder um wieder Peter Wegele zu zitieren: „Eine Band, die sich den sinnlichen Freuden südlicher Musik verschreibt, kommt an Brasilien nicht vorbei.“ Sprach´s und ließ einen „Cha-cha for you“ vom Stapel, der wirklich leichtfüßigen Latin-Pep entfachte und daran erinnerte, dass der Boss auch schon mal in einer kubanischen Formation mitgemischt hatte.
Mit einer Hommage an Paolo Contes „Sotto le stelle del Jazz“ (erneut auch eine Verbeugung vor Aida Satta Flores) und dem großartigen Ella Fitzgerald-Evergreen „My Man´s Gone“ aus dem Gershwin-Musical „Porgy & Bess“ wurde aus der verschnarchten ersten Halbzeit im zweiten Teil des Abends doch noch ein vitales Konzert. Wegeles Komposition Pacos Melancholia, der die Grundtraurigkeit eines „braunen Hundes mit schwarzen Augen“ beschreibt, der in Gilching „bestimmt gerade auf der Couch liegt“, sie hätte einen beinahe dauerhaft überwältigt. Thomas Lochte
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.