Nach(t)kritik
Von Hergottsbeton und Transzendenz
Veranstaltung: Vortrag zur Ausstellung: »Architektur & Spiritualität« mit Axel Frühauf„Wir planen und bauen für Menschen. Wir müssen schon zu verstehen versuchen, was sie bewegt – ob man dafür Christ sein muss? Jedenfalls braucht man in unserem Beruf ein Gespür für Spiritualität.“ Axel Frühauf, Architekt und Geschäftsführer der meck architekten, erläuterte für seinen Vortrag „Architektur & Spiritualität“ im Rahmen der ausstellungsbegleitenden Reihe zwei Praxis-Beispiele für erfolgreich verwirklichte sakrale Bauwerke aus der Region – beide im Osten Münchens umgesetzt: das katholische Kirchenzentrum Seliger Pater Rupert Mayer in Poing und das evangelische Gemeindezentrum Markt Schwaben.
Ersteres Sakralbauwerk war schon 2011 aus einem von meck architekten gewonnenen Wettbewerb hervorgegangen, aber erst sieben Jahre später, am 18.Juni 2018, mit der Konsekration offiziell seiner Bestimmung übergeben worden: Von vornherein als Ortsmitte konzipiert, sei das Kirchenzentrum Seliger Pater Rupert Mayer als skulpturaler Baukörper, „wie eine Art Schlussstein“, gedacht und gesetzt worden, so Axel Frühauf rückblickend. In unmittelbarer Nähe zum bestehenden Bürgerhaus und zum Rathaus, zugleich den baulichen Auftakt zu einem Grünzug bildend, verwirklichten seine Schöpfer hier die Assoziation einer „Stadtkrone“, inspiriert durch Bruno Taut, der das Konzept der Friedensstadt aus der schrecklichen Erfahrung des 1.Weltkriegs entwickelte. „Was wir als Architekten schaffen, kann man auch gebrauchen“, hatte Frühauf zu Beginn seines Vortrages angemerkt und damit zu den Aspekten der liturgischen Praxis übergeleitet – in Poing habe sich „ein Spiel mit Formen“ und sogar Zahlensymbolik entwickelt, die es innerhalb des Bauwerks zu materialisieren galt: Die Vier stehe hierbei für das Irdische, die Drei für das Göttliche. „Im eigentlichen Sinn wird diese Kirche durch eine Raumkrone getragen, was ein sehr beruhigendes Gefühl erzeugen kann“, beschreibt der Architekt Absicht und Wirkung. Diese Raumkrone trage die Dachfaltung, die Modellierung des Raumes fördere das Liturgische, so Frühauf. Die Anordnung des Gestühls im Inneren des Kirchenraums, sozusagen der Möblierung, sei ihrerseits dem Geist der communio, der Gemeinschaft verpflichtet. Die weiße Raumkrone und und der steinerne Boden mit Wandsockel thematisieren die Vorstellung von Himmel und Erde – als Umsetzung der architektonischen Vision ein Raum buchstäblich „zwischen Himmel und Erde, Transzendenz und Immanenz“.
Aus Nagelflu oder „Herrgottsbeton“ besteht der Sockel, über dem sich der kristalline, skulpturale Lichtkörper der Kirche erhebt. Von Bedeutung – und damals wohl auch wettbewerbsentscheidend – war die gewählte Zuordnung des Kirchenplatzes hin zur Straße und damit zum öffentlichen Raum. Andere Wettbewerbskonzepte hatten eine Orientierung des Baus zum nahen Park gewählt. „Die Kirche sollte ihre Kraft aus der eigenen Form schöpfen“, betont Frühauf ergänzend, nicht aus ihrer schieren Höhe. Im Falle „Seliger Pater Rupert Mayer“ in Poing griff der Entwurf auch viele Wegebeziehungen auf und erzeugte so einen „offenen, einladenden Raum“. Es wurde auf zahllose bestimmende Details geachtet, u.a. auch auf einen „Material-Kanon mit klarer qualitativer Staffelung“: Das Tauf-Fenster öffnet sich direkt zum Wasser, 15.000 weiße Keramikkacheln, abgesehen von den Randkacheln alle gleich, erzeugen durch mannigfach-differenzierende Lichtbrechung den beschriebenen Lichtkörper-Effekt, im Raum zum Teil auch durch diffuses Licht eine Atmosphäre der Transzendenz. Die Kirche steht auf leicht (um 3 bis 4 Prozent) abfallendem Gelände, geneigt Richtung Wasser, was zur Dramaturgie ihres Inneren beiträgt, zu seiner Erhabenheit, was wiederum „zu Stille und Einkehr“ führe. Um unerwünschte akustische Effekte wie das „Platten-Echo“ zu vermeiden, ist die Kirche mit schräg gestellten Wänden versehen; die Salbungsstellen wurden dort situiert, „wo das Raumkreuz sich im Fundament abstellt“, so Frühauf. An einer der Wände steht der thematische Schriftzug zu lesen: „Ich bin die Brücke“. Das mit rein architektonischen Gestaltungsmitteln erzeugte „Ewige Licht“, von mystischer Qualität.
Das zweite angeführte Beispiel für die dynamische Beziehung zwischen Architektur und Spiritualität ist das 2016 fertiggestellte Evangelische Gemeindezentrum Markt Schwaben: Hier galt es, die aus den fünfziger Jahren stammende, seinerzeit in Randlage errichtete und mittlerweile städtebaulich „zugewucherte“ Philippuskirche quasi zu (er)lösen, indem man sie baulich vom mit ihr verschmolzenen Gemeindehaus trennte. Für meck architekten bedeutete dies laut Axel Frühauf „zugleich die Chance, Neues zu schaffen, als auch Altbewährtes wiederherzustellen“. Die Lösung von Sakristei und Gemeindehaus samt Ausrichtung der Baukörper zur nahen Erdinger Straße, mit den Raumkanten der Bauten als Leitplanken für einen neu zu schaffenden Kirchplatz, mit erhöhten Räumen bei gleichzeitiger Neubetonung des markanten Kirchendachs von „Philippus“ und doch zurückhaltender Baumasse – all dies habe „viele nächtliche Sitzungen“ erfordert, um in Gemeinde und Kirchengemeinde Überzeugungsarbeit zu leisten: Man habe es mit vielen unterschiedlichen Vorstellungen von sakraler Architektur zu tun, zuweilen auch mit dominanten Pfarrern, so die Erfahrung während der Verwirklichung mancher Projekte. „Kirche baut ab“, merkt Frühauf zwischendurch kritisch an und meint damit wohl nicht nur Personal, sondern auch das finanzielle Engagement der Kirchen in eine ihrem Auftrag entsprechende Architektur und stilistisch angemessene Repräsentanz. Doch auch in Markt Schwaben gelang in nachhaltiger Bauweise (Lärchenholz, und als Natursteinboden Jura-Kalk, der günstige „Bauträgerstein“!) letztlich das, was er so umschreibt: „Gute Proportionen, sie kosten kein Geld, sondern Gehirnschmalz“. Auch am Entwickeln liebenswerter Details wie schmiedeeisernen Handläufen habe man so durchaus seine (Architekten-)Freude gehabt, sagt Frühauf mit noch heute spürbarer Befriedigung. „Am Ende des Tages wurde es eine ehrliche Haut für dieses kleine Haus.“ Ein Haus, das Offenheit ausstrahlt. Anders gesagt, positiven Geist.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.