Direkt zum Inhalt

Nach(t)kritik

Sa, 01.04.2023
20.00 Uhr

Wie wird man ein Mensch?

Veranstaltung: Theater Junges M: Pinocchio. Or what is real.

Wer ist Pinocchio? Eine Puppe, die mit sich spielen lässt? Ein Holzkopf, der nichts versteht? Ein Spaßmacher, ein Abenteurer, ein Kind? Und warum will er unbedingt ein Mensch werden? Ist ein Mensch „echter“ als ein Holzbub? Das Theater Junges M als Basel hat sich unter der Leitung von Sandra Löwe mit der Geschichte von Carlo Collodi auseinandergesetzt, hat über die Essenz des Stoffes miteinander nachgedacht, diese mit eigenenErfahrungen verglichen und in Improvisationen gemeinsam eine eigene Version entwickelt: „Pinocchio. Or what is real“ lautet der vieldeutige Titel.

Vieldeutig ist auch, was das aus jungen Menschen und Profis bestehende Ensemble bei seinem Gastspiel im bosco anbietet. Sie lassen das Publikum teilhaben an ihrer Ensemblearbeit. Fast immer sind alle Spielerinnen und Spieler anwesend, sei es nahezu unsichtbar im Hintergrund, sei es zuschauend teilhabend am Szenenrand oder eben mittendrin. Eine hölzerne Drehscheibe, darauf ein altes Schulpult markiert die Szene, am Rand liegen Kostüme bereit. Die Bühne ist als schmaler Steg in den Zuschauerraum hinein verlängert, am Ende dieses Steges steht ein Miniatur-Schulpult, als warte es auf ein Puppenspiel. Mindestens ebenso wichtig für die Gestaltung der Szene, des Bildes ist die Sprache: in fünf Sprachen - Deutsch, Schweizerdeutsch, Italienisch, Französisch und Englisch - nehmen die Spielerinnen und Spieler die Geschichte, so wie sie sich ihnen vermittelt, in den Mund, schmecken die Sätze ab, prüfen sie auf ihren Gehalt, ihren Rhythmus, ihren Klang, spielen mit dem Text wie mit einem federleichten Material.

Neben der Sprache steht die Musik. Sie wird zum Seil, auf dem sich tanzen lässt, zum Teppich, der ebenfalls zum Tanz einlädt. Denn Tanz, tänzerische Bewegung ist ein kennzeichnendes Stilmittel für diesen „Pinocchio“, für den Umgang mit seiner Geschichte. So entsteht ein Gesamtkunstwerk aus Bewegungskunst, Sprache, Musik und Interaktion, das auf verschiedenen Ebenen die Frage abklopft: „Was bedeutet es, ein Mensch zu werden und ein Mensch zu sein?“

Das Ensemble, bestehend aus Stavros Billios, Linda Gerber, Lia Haenggi, Mireilla Linder, Selina Randegger, Felix Schröder, Linda Stefan, Moyra Studach und Jukian Voneschen, bietet mit „Pinocchio. Or what is real“ ein poetisches, äußerst dichtes Theater, das zum Staunen einlädt, zum nachdenken und einfach auch zum Träumen. Besonders beeindruckend ist das Timing, das die Szenen nahtlos ineinandergreifen lässt und an eine Spieluhr erinnert - freilich an eine nicht mechanische, sondern vollkommen organische. „Wir ist das Motto“, steht auf der Homepage des Theaters. Genau das spürt man beim Zuschauen.

Sabine Zaplin, 02.04.2023


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
Galerie
Bilder der Veranstaltung
Sa, 01.04.2023 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.