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Nach(t)kritik

So, 11.10.2020
11.00 Uhr

Ws heißt eigentlich normal?

Veranstaltung: Diskussion zum Schauspiel: Theater & Inklusion

Der Schauspieler Lars Eidinger erzählte kürzlich auf dem Fünf-Seen-Filmfestival, dass er nach einer Vorstellung von Shakespeares „Richard III.“ von einem Zuschauer angesprochen worden sei, der ihm erklärte, ihm als gesundem Menschen stünde es nicht zu, einen Behinderten zu spielen, das sei eine andere Form von „Black-Facing“. Die Debatte um Diversität ist offensichtlich weit komplizierter, als - um noch einmal Shakespeare zu bemühen - „unsere Schulweisheit uns glauben macht“. Das zeigt auch die Podiumsdiskussion „Theater und Inklusion“, die ursprünglich in einer geplanten Reihe „Inklusion im Würmtal“ stattfinden sollte und nun als singuläre Veranstaltung am Sonntagmorgen im bosco eine Schar Interessierter in den Saal lockte.

Auf dem Podium saßen die Gautinger FDP-Ortsvorsitzende und Gemeinderätin Victoria Beyzer, der Schriftsteller und Aktivist Max Dorner und Metropol-Theater-Intendant Jochen Schölch, der hier auch in seiner Eigenschaft als Dozent für Schauspiel an der Münchner August-Everding-Akademie vertreten war. Dorner eröffnete die Diskussion mit einem kurzen Rückblick auf die Geschichte des Begriffs „Inklusion“, der in der UN-Behindertenrechtskonvention seit Ende 2006 festgeschrieben ist und das Recht auf Teilhabe aller am gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Leben proklamiert. Damals habe es, so Dorner, eine regelrechte Aufbruchstimmung gegeben, mittlerweile aber „haben die Aktivisten die Lust an dem Wirt verloren“ und auch innerhalb der Kulturbetriebe sei es eher zu einer gewissen Ermattung gekommen. Dorner führt die Ermüdungserscheinungen zurück auf die Schwierigkeiten, Inklusion in den Schulen zu verankern und eben bereits im Alltag von Kindern und Jugendlichen zu etablieren.

Victoria Beyzer, die derzeit in München noch Theaterwissenschaft studiert, bestätigt dasselbe hinsichtlich der Hochschulen. „Es gibt kein Seminar, das sich damit beschäftigt“, erklärt sie, und auch im Umfeld des Instituts für Theaterwissenschaften sei ihr das Thema bisher noch nicht begegnet. Sie berichtet von einem Workshop an den Kammerspielen, bei dem sie erfahren habe, dass an australischen Theatern bereits ganz anders damit umgegangen werde, dass es beispielsweise bei der Spielplangestaltung Beachtung erfahre.

Das ist etwas, das Jochen Schölch in der Arbeit des Metropoltheaters ohnehin tut. So gibt es dort die Reihe „All inclusive“, die Stücke mit Live-Audiodeskriptionen und Gebärdendolmetschung aufführen. Doch mit dem Augenmerk auf „Barrierefrei“ ist es nicht getan. Es gelte auch, so der Hochschulprofessor Schölch, die Teilhabe aller politisch zu wollen und dafür „auch Geld in die Hand zu nehmen“. Ein Hindernis ist beispielsweise die bei den Zulassungsanforderungen für die Aufnahme geforderte Hochschulreife, die - wie eine Zuschauerin bemerkt - für zahlreiche Menschen mit Behinderung allein deshalb nicht möglich ist, weil weiterführende Schulen ihnen die Teilhabe nicht ermöglichen. Zwar dürfen die Schauspielschulen hier Ausnahmen zur Regel machen, erläutert Schölch, doch solange es an Vorbildern mangele, werden nicht viele junge Menschen mit Beeinträchtigungen auf die Idee kommen, an einer Schauspielschule vorzusprechen und diesen Beruf überhaupt in Erwägung zu ziehen.

Es müsse zur Normalität werden, Menschen mit Beeinträchtigungen auf der Bühne und im Kino zu sehen, fordert auch Beyzer und verspricht am Ende der Diskussion, sich politisch dafür einzusetzen und ganz konkret bei politischen Anträgen als Unterstützerin zur Verfügung zu stehen. Schölch nimmt sich vor, das Thema der Zulassungsanforderungen an der Schauspielschule besser zu kommunizieren. Und Dorner ist höchst angetan vom Interesse des Gautinger Publikums. So wird es vielleicht irgendwann keine Rolle mehr spielen, wer Richard III. spielt - Rolle bleibt Rolle, und die Mimen bringen ihre Begabungen dafür mit, so oder so.

Sabine Zaplin, 11.10.2020


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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So, 11.10.2020 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.