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Veranstaltungsinfo

Mi, 19.01.2022
20.00 Uhr
Literatur

15,00 / 8,00

Regulär / bis 25 Jahre
Vorverkauf ab 08.01.2022

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Veranstalter: Theaterforum Gauting e.V.

Gerd Holzheimer: Mir ham! (Teil 2)

Gar ned erst ignorieren - Möglichkeiten der Vermeidung

Sprecherin: CAROLINE EBNER

Teil 2 der Literaturreihe „Mir ham! Von den Möglichkeiten des Lebens“ mit Gerd Holzheimer

An drei Abenden geht es am ersten (MI 08. DEZ 2021) um ein Lebensgefühl des „Mir ham“, nicht triumphal, jedoch voller Seins-Gewissheit. Am nächsten, Variante zwei (MI 19. JAN 2022) um ein Durchwurschteln, was nicht unbedingt das Schlechteste sein muss, und am dritten (MI 23. FEB 2022) um Perspektiven der unterschiedlichsten Art, wie man durchkommen kann, weiterkommen kann, zumeist mit einer gewissen Selbst-Distanz und Humor am besten.


Teil 2: „Gar ned erst ignorieren – Möglichkeiten der Vermeidung“
 
Don Quijote ist ein begeisterter Leser, vor allem von Ritterromanen, die er so sehr für die Wahrheit hält, dass er sie mit der Wirklichkeit vertauscht, deren Ordnung für ihn nicht maßgebend ist. Er geht seinen eigenen Weg, einen ungewöhnlichen. Don Quijote hält immer alles für etwas anderes, als wofür es von den anderen gehalten wird. Über dem Buch Las Sergas de Esplandián (The Adventures of Esplandián) des spanischen Dichters Garci Rodríguez de Montalvo hat er endgültig seinen Verstand verloren – Vorsicht ist also geboten! Montalvo beschreibt in seinem Buch ein unbekanntes Land, für das es keinen bekannten Namen gibt. Das Land liegt „rechts von Indien“. Don Quixote nimmt alles wörtlich. Die große Reise zum Nabel der Welt, zu sich selbst, zur Mitte des Ganzen ist nur auf dem langen Umweg durch die Welt erreichbar.

Wer die Strukturen der Macht ernst nimmt, ist entweder verloren oder er nimmt sie wörtlich und macht dadurch die ernsten Strukturen der Macht lächerlich. Jaroslav Hašek hat es in seinem Schwejk vorgeführt. Er erklärt seinem dienstvorgesetzten Leutnant den Ernst der Lage: „Melde gehorsamst, Herr Lajtnant, allerhöchster Brigadekommandobefehl, die Herren Offiziere solln sich anziehen und zur Batallionsbesprechung kommen; wir brechen nämlich auf …“ Herr Lajtnant ist allerdings noch nicht ganz im Bilde und möchte wissen, wo er sich befindet. „Herr Lajtnant belieben im Bordell zu sein. Gottes Wege sind verschlungen.“
 
Kurt Tucholsky amüsiert sich unendlich über den laut „Heil!“ brüllenden Karl Valentin, der dann – nach einer längeren Pause – leise hinzufügt: „Wie heißt der gleich wieder?“ Im wirklichen Leben beauftragt Hitler seinen Photographen Hoffmann, von Karl Valentin die Sammlung seiner Postkarten und Photos zu kaufen. Valentin verlangt Hunderttausend in bar, und das ohne Bedingungen, weil der Kauf an die Verpflichtung geknüpft war, keine Filme von dem Geld zu drehen. Valentin bleibt unnachgiebig: „Sagen S‘ dem Herrn Führer einen schönen Gruß, wenn er mir die hunderttausend Mark net auf einmal gibt, dann soll er sich sei Geld am Huat aufisteckn! I bin wie er – alles oder nichts!“ Ein Vergleich, bei dem einem die Luft wegbleibt. Allerdings: das muss man sich schon mal trauen!

Der Heilige Narr, der Narr bei Shakespeare, der Wurschtl in Wien: Wir werden an diesem Abend im bosco einige dieser Gestalten aus der Menschheitsgeschichte zu Gast haben. C. G. Jung beschreibt diesen Typus tiefenpsychologisch als „Trickster“: „Der Trickster ist die alchemistische Bezeichnung des Mercurius unter dem Aspekt eines flüchtigen, dem intellektuellen Zugriff stets entwischenden Geistes, der den Menschen narrt und ein rätselhaftes Zufallsspiel mit ihm zu treiben pflegt.“

Konzeption & Moderation
GERD HOLZHEIMER
Sprecherin
CAROLINE EBNER

CAROLINE EBNER geboren 1970, absolvierte ihr Schauspielstudium an der Folkwang-Schule in Essen. Von 1993 bis 1996 war sie Ensemblemitglied am Düsseldorfer Schauspielhaus und von 1996 bis 2000 am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Von 2001 bis 2012 spielte sie auf den Bühnen der Münchner Kammerspiele. Ebener spielete zahlreiche Rollen für Film und Fernsehen und wurde für ihre Arbeit mehrfach ausgezeichnet, u.a. wurde sie für den Deutschen Fernsehpreis 2011 nominiert.

Nach(t)kritik
Mir schlagen vor!
Nach(t)kritik von Sabine Zaplin

Ein literarisches Eisstockschießen hat Gerd Holzheimer dem Publikum des zweiten Abends seiner aktuellen Reihe „MIR HAM! - Von den Möglichkeiten des Lebens“ versprochen. Kurz zur Erinnerung: der Ausruf „Mir ham!“ stammt aus dem bayerischen Wintersportvergnügen, bei welchem die am Zug sich befindende Mannschaft den ebenso siegessicheren wie das Scheitern souverän in Kauf nehmenden Schlachtruf beim Setzen des Stocks auf das Eis ausstößt. Ein Ausruf, der die Wirklichkeit mit einem kaum herauszuhörenden Konjunktiv relativiert - wie Holzheimer zu Beginn des Abends erwähnt.

Eine illustre Auswahl an literarischen Kronzeugen - genial und mit großer Lust an der Ausgestaltung von Sprache vorgetragen von Caroline Ebner - belegte, dass doch sehr viel mehr zwischen Himmel und Hölle sich findet, als „unsere Schulweisheit uns träumen lässt“ (um es mit Shakespeare zu sagen). Angefangen bei Cervantes, dessen Don Quijote durch das Lesen von Ritterromanen sich selbst zum Ritter ernennt und das in einem Roman, der vorgibt, ein Ritterroman zu sein; angefangen also beim Realitätsjongleur Cervantes über den bereits erwähnten Shakespeare und das gesamte Panoptikum seiner Narren und an der Wirklichkeit verzweifelnden Könige bis hin zu Shakespeares und Cervantes` böhmischen Kollegen Jaroslav Hasek und Bohumil Hrabal (bei denen Gerd Holzheimer dann sichtbar zuhause ist) wird dieses literarische Eisstockschießen zu einer wilden Schlittschuhpartie über einem Boden, dessen Tragfähigkeit immer wieder aufs Neue ausgetestet werden muss.

Allen Figuren, die an diesem Abend mit der Stimme von Caroline Ebner zu Wort kommen, ist eines gemeinsam: sie misstrauen dem Vordergründigen, sie bezweifeln das Sichtbare. King Lear, Shakespeares tragischer und problematischer Held, fragt sich noch im Sterben angesichts der eigenen erhobenen Hand, ob dies seine Hand ist, ob dies überhaupt eine Hand ist. Haseks „Braver Soldat Schwejk“ treibt auf eine ebenso tragische wie burleske Weise sein Spiel mit den Erfordernissen der Realität, und Franz Kafkas Erzähler in der kurzen Geschichte „Auf der Galerie“ treibt den Konjunktiv als Möglichkeitsform auf die Spitze in Frage gestellter Wahrnehmung. „Wenn der Aff` wüsst, er ist ein Aff`, so wär er ein Mensch“, resümiert Johann Nepomuk Nestroy.

Der Zusammenhang zwischen Wirklichkeit und Wahrnehmung ist eines der Urthemen der Literatur. Immer wieder sehen sich Schriftsteller und Schriftstellerinnen (von denen an diesem Abend keine vertreten waren) ihren eigenen Fiktionen gegenüber, die sie dich auf der Basis einer - wie auch immer - erfahrenen Wirklichkeit geschaffen, sich also aus der Realität in die Fiktion übersetzt haben. „Möglichkeiten der Vermeidung“ lautete der Untertitel dieses zweiten „MIR HAM!“-Abends. Und ja: es mag eine Vermeidung der Konfrontation mit der Wirklichkeit sein, wenn man eine andere Möglichkeit in Betracht zieht. Aber genau das ist zugleich die Faszination der Literatur. Wo, wenn nicht in der Fiktion, lässt sich eine Variante ausdenken? So wird das „Mir ham“ zum „Mir hätten gern“ oder auch mal zum „Mir schlagen vor, dass…“ . Und das hat dann tatsächlich weniger Konjunktives als Konstruktives.

Abschließend sei noch einmal erwähnt, dass der wunderbar ironische, auf sehr beteiligte Art und Weise eine gesunde Distanz schaffende Vortragsstil von Caroline Ebner diesen Abend zu einem wunderbaren Hörerlebnis gemacht hat.

Galerie
Bilder der Veranstaltung
Mi, 19.01.2022 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.