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Presse

 

Frisches Blut für Gauting

Erschienen in:   Starnberger Merkur

Gesellschaft für Archäologie hat Vertriebene befragt.

Ergänzend zur Ausstellung „Mausefallen für Dich – Zigarren für die Welt“ sprach der Vorsitzende der Gesellschaft für Archäologie und Geschichte Oberes Würmtal (GfAG), Karl Hebler, im Bosco über die Arbeitssituation der Weltkriegsflüchtlinge und Vertriebenen im Würmtal. „Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges und in den ersten Jahren danach kamen in Gauting und Umgebung tausende Heimatvertriebene und Flüchtlinge an. Sie alle suchten neben einem neuen Zuhause auch Arbeit, um ihren Lebensunterhalt neu bestreiten zu können“, betonte er. Seit Herbst 2019 haben deshalb Ehrenamtliche der GfAG insgesamt 25 Zeitzeugen aus den Geburtsjahren ab 1926 bis Ende der 1940-er Jahre in der Gemeinde Gauting und dem benachbarten Pentenried zu ihrer Situation als Flüchtling im Würmtal anonym befragt. Sieben Interviews stünden noch aus, erläuterte Karl Ludwig Hebler. Das Projekt steht also kurz vor dem Abschluss.

In dem katholischen Landstrich von Gauting und Umgebung stammten zwei der befragten Heimatvertriebenen aus dem Sudetenland, fünf aus Böhmen, vier aus Mähren, zwei aus Schlesien, eine Person aus der Slowakei. „Aber niemand aus Ostpreußen“, so Hebler. Diese Kriegsflüchtlinge blieben wohl im evangelischen Norddeutschland, so Heblers Theorie. Arbeitsplätze fanden die Flüchtlinge teils in der Landwirtschaft oder im Bau. Ein Elektrotechniker fand Arbeit in seinem bisherigen Beruf.

Hebler berichtete außerdem von einem Mann, der vor dem Krieg in der Papierfabrik Heinrichsthal gearbeitet hatte. In der 1968 vollends abgebrochenen Haerlinschen Papierfabrik, einst größter Arbeitgeber in Gauting, fand der Flüchtling wieder einen Job. Von 18 Befragten waren vier Hilfsarbeiter, sechs Arbeiter, fünf Angestellte, zwei Beamte, einer Arzt und sieben Selbstständige wie Schuster oder Drogist, rechnete Hebler vor. Nur einer blieb arbeitslos.

Durch die Kriegsflüchtlinge, aber auch sogenannte Displaced Persons (DP, Überlebende aus dem KZ Dachau, die im damaligen DP-Hospital, der heutigen Asklepiosklinik, behandelt wurden) schnellte die Einwohnerzahl 1946/47 in Gauting von ehemals 6000 auf 9000 Menschen. „Mein Vater war Hilfsarbeiter im Bau, meine Mutter hat mit Putzen Geld verdient und in der Metzgerei ausgeholfen“, zitiert Hebler aus den Interviews. In Gauting hätten junge Heimatvertriebe auch „gegen Kost und Logis“ arbeiten müssen – ohne jeden Lohn. Ein Lehrling habe sich jedoch zu helfen gewusst und fünf Jahre ein Obdach gehabt, derweil aber woanders gegen Gehalt gearbeitet. Mit dem Ersparten habe sich der Mann „ein Haus gebaut, wo er heute noch drin wohnt“.

Mit den Flüchtlingsfrauen, die teils in der Landwirtschaft arbeiteten, kam auch frisches Blut nach Unterbrunn, resümiert der Sammler Hermann Geiger. Seine Tante habe zum Beispiel mit einem Flüchtling, einem gelernten Schneider, in Unterbrunn im Jahre 1949 eine große Hochzeit gefeiert.

15.04.2024, Christine Cless-Wesle