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Presse

 

Gerd Holzheimer sagt leise Servus

Erschienen in:   Starnberger Merkur

15 Jahre lang hat Gerd Holzheimer auf seine unnachahmliche Art Gautingern und Besuchern aus anderen Orten im Bosco Literatur nahegebracht. Jetzt ist Schluss, aus Kostengründen. Bei einem letzten Abend lag am Donnerstag ganz viel Wehmut in der Luft.

Gauting – Gerd Holzheimer gehört zu jener Spezies Mensch, die Tagebuch führt. Vielleicht weiß er deshalb so genau, wann und wie alles angefangen hat. Es war der 18. Dezember 2010, ein bitterkalter Winterabend. Er hatte gerade in der Reihe „Literarische Hausbesetzung – Kunst in der Kolonie“ einen Abend mit dem Thema „Christliches Abendland“ gestaltet, als Werner Gruban vom Theaterforum Gauting auf ihn zutrat und ihn fragte, ob er sich etwas Ähnliches für das Bosco vorstellen könnte. Seine Antwort damals in typischer Holzheimer-Manier: „Ja mei. Wennst moanst.“

Am Donnerstagabend ging das, was 2010 angefangen hat, zu Ende. Nach 15 Jahren, in denen Holzheimer mit verschiedenen Schauspielern literarische Abende bestritten hat (zuletzt die Reihen „Nur der Not keinen Schwung lassen“ und „Schwellen des Lebens“), gab er seine letzte Vorstellung. „Sag zum Abschied leise Servus“, hieß sie. Die Bar Rosso war mit gut 80 Besuchern ausgebucht, Wehmut lag in der Luft und Poesie sowieso. Aber es half nichts, die Reihe wird aus Kostengründen beendet, der Zuspruch hatte in den vergangenen Jahren nachgelassen. Holzheimer zeigte sich schlicht und ergreifend dankbar für die gemeinsamen Jahre. „Für mich war es ein Glücksfall sondergleichen“, erklärte der 75-Jährige. „Mehr sage ich nicht, sonst werde ich sentimental.“

Der Autor und sein Begleiter auf der Bühne, der Schauspieler Hans-Jürgen Stockerl, nahmen sich gleich mal den Kanon der Weltliteratur vor: Homers „Ilias“ und „Odyssee“, Dantes „Göttliche Komödie“, Boccaccios „Decamerone“. Holzheimer begeisterte sich für die Poesie („Kann man es zarter sagen?“), stellte überraschende Verbindungen in die Gegenwart her (so zwischen dem Zerstörer der athenischen Demokratie, Hyperbolos, und einem gewissen Donald Trump) und schlug hin und wieder den ganz großen philosophischen Bogen, etwa bei Odysseus. „Er ist für mich der Begründer der Moderne“, sagte Holzheimer. „Er sagt Ich, er bricht auf, er will es wissen.“ Und damit der Spaß nicht zu kurz kam, präsentierte der Gautinger den verdutzten Besuchern eine Pop-up-Odyssee.

Nach der Pause wandte sich das Duo Holzheimer/Stockerl Dichtern des 20. Jahrhunderts zu, die lange Zeit vergessen waren, heute aber zu den Größten überhaupt gezählt werden. Der eine: Robert Walser, ein Schweizer, der lange in Psychiatrien einsaß und rätselhafte Prosa verfasste. Holzheimer wäre nicht Holzheimer, wenn er dazu nicht eine Anekdote aus seinem eigenen Leben hätte erzählen können. Als der Gautinger den Ort besuchte, wo Walser 1956 starb – er hatte bei einem seiner langen Spaziergänge einen Herzinfarkt erlitten und war einen Hang hinabgerutscht – sprach ihn eine Frau an. „Ein gescheiter Mann“, sagte sie in Erinnerung an den schwer durchschaubaren Autor. „Er hat nie was gesagt.“

Und dann wäre da noch Fernando Pessoa, ein Hilfsbuchhalter aus Portugal, der unter nicht weniger als 17 verschiedenen Pseudonymen mit je eigener, fiktiver Biografie schrieb. Der Mann aus Lissabon hat nie etwas veröffentlicht, aber auf seinem Dachboden wurden Texte gefunden, die die Menschheit fortan aufwühlten. Die Bosco-Besucher hingen an Hans-Jürgen Stockerls Lippen, als er einige Passagen vorlas, darunter den Satz, der den Abend beschloss: „Haben wir geliebt, dürfen wir sterben.“

Ganz so pathetisch wollte aber dann doch niemand die Ära ausklingen lassen. Holzheimer zitierte seine Großmutter, die bei solchen Gelegenheiten zu sagen pflegte: „Hätt ma des a wieder.“ Und Werner Gruban wollte auf keinen Fall von einem Abschied für immer sprechen. „Wenn in deinem literarischen Garten wieder eine Frucht heranreift, die geteilt werden kann, dann sehen wir uns wieder“, sagte er fast beschwörend. Danach übernahm Peter Alexander selig, dessen Lied „Sag zum Abschied leise Servus“ dezent aus den Lautsprechern drang.

05.11.2025, Volker Ufertinger