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Veranstaltungsinfo

Mi, 26.09.2018
20.00 Uhr
Literatur

15,00 / 8,00

Vorverkauf ab 07.07.2018

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Veranstalter: Theaterforum Gauting e.V.

Gerd Holzheimer "Auf geht´s: Zu neuen Ufern!" (1): Der Herr Meyer aus der Kaiserstraß

Lenin in München
Sprecherin: CLARA HOLZHEIMER / Musik: "Das Lustprinzip" mit ROSE BIHLER SHAH (Gesang) & BIRGIT OTTER (Tasten)
"AUF GEHT´S: ZU NEUEN UFERN!" - NEUE LITERATURREIHE MIT GERD HOLZHEIMER
Politische Aufbrüche
Die Ausrufung des Freistaats Bayern und damit gleichzeitig der Räterepublik in München jährt sich zum hundertsten Mal, wieder einmal Anlass für ein Jubiläum. Diese literarische Reihe greift diese Geschichte auf und erweitert sie: um die Vorgeschichte, und dazu gehören auch siebenhundert Jahre Wittelsbacher, um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, eine Zeit, in der in München ein wirklich großer Aufbruch stattfand, auf allen Ebenen menschlichen Lebens – eine Wendung der Dinge, wie sie sich in gewisser Weise 1968 wiederholen sollte. Natürlich gehört auch die Revolution von 1918 selbst zum Thema sowie ein Herr Meyer in München, der sich später Lenin nannte, und eine gewisse Rolle spielt.

Freilich wechseln sich in der Geschichte der Menschheit offenkundig immer wiederkehrend Epochen vernünftiger Planung, partnerschaftlicher Zusammenarbeit und phantasievoller Projekte mit solchen der Irrationalität, Isolierung und Engstirnigkeit ab. Goethe formuliert diesen ewigen Wechsel in einer seiner Maximen so: „Der Kampf des Alten, Bestehenden, Beharrenden mit Entwicklung, Aus- und Umbildung ist immer derselbe. Aus aller Ordnung entsteht zuletzt Pedanterie; um diese los zu werden, zerstört man jene, und es geht eine Zeit hin, bis man gewahr wird, dass man wieder Ordnung machen müsse. Klassizismus und Romantizismus, Innungszwang und Gewerbefreiheit, Festhalten und Zersplittern des Grundbodens: es ist immer derselbe Konflikt, der zuletzt wieder einen neuen erzeugt. Der größte Verstand des Regierenden wäre daher, diesen Kampf so zu mäßigen, dass er ohne Untergang der einen Seite sich ins Gleiche stellte; dies ist aber den Menschen nicht gegeben …“ –  eine ziemlich pessimistische Prognose, es kommt aber noch dicker: „…und Gott scheint es auch nicht zu wollen.“ Damit hätten wir natürlich richtig Pech. Aber gehört es nicht auch zum Wesen des Menschen, dass er weltoffen ist, offen für die Welt? Und dass er, weil er das Leben liebt, auch mit anderen Lebewesen menschlich umgehen kann, selbst wenn es ihm keinen unmittelbaren Nutzen bringt. Davon soll die Rede sein. Es geht weniger um politische Botschaften, als vielmehr darum, in welcher Weise sich diese Veränderungen im Bewusstsein der Menschen literarisch niedergeschlagen haben.

1. Der Herr Meyer aus der Kaiserstraß: Lenin in München
Sommer 1900 in München, mitten im Herzens Schwabings: Ein junger Mann Anfang dreißig stellt sich als Herr Meyer vor und bezieht ein kleines Zimmer in der Kaiserstraße 46. Das erscheint auf den ersten Blick als nicht allzu Besonderes. Doch bei diesem Herrn, einem untergetauchten Russen, handelte es sich um einen besonderen Meyer. Hinter dem Allerweltsnamen steckt kein Geringerer als Vladimir Iljitsch Uljanow, uns allen besser bekannt als Lenin. Mit Pamphleten wie Was tun? legt er in seinen zwei Jahren in München erste schriftliche und politische Grundlagen für die russische Revolution. Auch die Zeitschrift Iskra wird in München gedruckt. Möglicherweise ist auf diese Weise in der Druckerei die Verbindung zu einem „Fräulein Schön“ entstanden, die später im sogenannten „Jagahäusl“ in Stockdorf gelebt hat. Zu ihren wenigen Habseligkeiten gehörte auch ein Sessel, auf dem Herr Meyer alias Lenin saß und sogar genächtigt hatte. Lenins Sessel wird während der ganzen Veranstaltung life anwesend sein. In seinen Schriften klingt Lenin nicht gerade als freudvoller Mensch, aber das lustvolle Münchner Leben hatte es ihm durchaus angetan. Er war ein gern gesehener Gast im Hofbräuhaus, liebte Bier und Mehlspeisen. Vielleicht hat er die Aufschrift „HB“ auf den Maßkrügen als Abkürzug von Народная воля gelesen, narodnaja wolja, auf gut deutsch: „Volkswille“. Das wird ihm zusätzlich gefallen haben. Thema dieses Abends: Nicht nur die zwei Jahre, in denen Lenin in München war, sondern vor allem der Geist der Zeit in München und eben auch um Lenins Geist. Und damit um Fragen: Welche Modelle werden diskutiert? Räte versus Partei als Diktatur des Proletariats, gleichbedeutend mit der Alleinherrschaft einer kommunistischen Partei, mit der Ausschaltung aller anderen Kräfte und damit auch des Anarchismus, wörtlich der  „Herrschaftsfreiheit“, Gewaltfreiheit, Pazifismus.

Konzeption & Moderation
GERD HOLZHEIMER
Sprecherin
CLARA HOLZHEIMER
Musik
"Das Lustprinzip"
mit ROSE BIHLER SHAH, Gesang
BIRGIT OTTER, Tasten
Nach(t)kritik
Vom Sessel aus
Nach(t)kritik von Sabine Zaplin

Das gab es so auch noch nicht in der bar rosso: dass das ganze gut gebildete und wohl auch gut verdienende gediegene bosco-Publikum miteinander aus vollen Halse „Die Internationale“ anstimmen würde - und das gleich zweimal, vor der Pause und dann als Zugabe nach dem Auftakt von Gerd Holzheimers Literaturreihe noch einmal. Doch wen wundert´s, schließlich hat Gauting seinen eigenen Anteil an der Oktoberrevolution und dem Aufbruch der „Verdammten dieser Erde“, und zwar in Form eines Sessels. Dieser stand während des Abends, der sich unter dem Titel „Der Herr Meyer aus der Kaiserstrass: Lenin in München“ dem ersten von mehreren politischen Aufbrüchen widmete, vorn am Bühnenrand und trug keinen Geringeren als den Herrn Meyer alias Vladimir Iljitsch Uljanow alias Lenin selber, in Gestalt eines großformatigen gerahmten Portraits. Mit dem Sessel hat es folgende Bewandtnis: vor vielen vielen Jahren lebte in einem „Jagahäusl“ genannten Häuschen in Stockdorf ein Fräulein Schön, das zuvor einmal gewisse Verbindungen zu jener Druckerei pflegte, in der Lenin während seiner Zeit in München - wohin er aus dem zaristischen Russland geflohen war - einige Pamphlete und auch die Zeitschrift „Iskra“ drucken ließ. Man kam sich näher, und so ergab es sich, dass Lenin alias Herr Meyer das Fräulein Schön besuchte und immer wieder auf diesem Sessel Platz nahm, der später mit nach Stockdorf ins Jagahäusl zog. Ein Hauch von Lenin im Gautinger bosco!

Wie man sich Lenins Zeit in München, vor allem im brodelnden, neuen Ufern zustrebenden Schwabing, vorzustellen hatte, davon zeichnete Holzheimer zusammen mit der Sprecherin Clara Holzheimer und den aus dem Off urplötzlich noch hereinschneienden Musikerinnen Rose Biller-Shah und Birgit Otter ein höchst farbiges Bild. Natürlich betrachtete Lenin, revolutionär schon einige Schritte weiter als die Vorbereiter der Räterepublik, die Gehversuche der bayerischen Genossen zunächst mit Skepsis und lieferte manchen Ratschlag. Doch recht bald schon schien die bayerische Lebensart auf ihn abzufärben. So war der Revolutionär nicht mehr pausenlos nur mit der Revolution beschäftigt, sondern fand auch Gefallen an schillernder, berauschender Zerstreuung wie dem Masskrugstemmen im Hofbräuhaus oder dem Firlefanz des Faschings, den er Karneval nennt. Natürlich kamen - rezitiert von Clara Holzheimer - auch die Schwabinger Genossen und Bohemians zu Wort, Erich Mühsam beispielsweise, Ernst Toller oder auch der aus Berg diazustoßende Oskar Maria Graf. Vor allem letzterer betrachtete diesen politischen Aufbruch mit dem ihm eigenen wunderbaren Humor, der schon damals den Bierernst der Ideologie auf den Bierfilz hinunterbrechen konnte. 

Revolutionäre Last versus rebellische Lust? Letztes Gefecht versus erste Sahne? Es war ein Lied, das unter den großen Liedern der Arbeiterbewegung ein bisschen im Hintergrund steht, welches auf berührende Weise - an diesem Abend interpretiert von Rose Bihler Shah und Birgit Otter - zeigt, dass es im Kampf um ein besseres Leben um beides zu gehen hat: um Existenzsicherung und um Schönheit. „Brot und Rosen“, heißt dieses Lied, basierend auf einer Rede der New Yorker Gewerkschafterin Rose Schneiderman aus dem Jahr 1911: „und wenn ein Leben mehr ist/als nur Arbeit, Schweiß und Bauch/wollen wir mehr - gebt uns Brot/doch gebt die Rosen auch.“

Galerie
Bilder der Veranstaltung
Mi, 26.09.2018 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.