Veranstaltungsinfo
Gerd Holzheimer: Nur der Not keinen Schwung lassen (Teil 3)
"Nur der Not keinen Schwung lassen", war ein gern gesagter und oft gehörter Spruch in den fünfziger Jahren – von einer Generation also, die Gewaltherrschaft, Krieg und Zerstörung erlebt hatte und sich nun daran machte, aus den Trümmern wieder etwas aufzubauen. Ganz verloren hat sich diese Weisheit nie, auch nicht in Zeiten eines, wie es schien, gesicherten Wohlstands. Im Spiegel der Literatur lassen sich im Lauf der Weltgeschichte vieler solcher Situationen nachlesen, in welchen die Menschen gut daran taten, nicht den Mut zu verlieren. Diesen wollen wir unsere Stimme geben und unser Ohr schenken.
Teil 3: Jetzt
Auch wenn niemand weiß, wieviel Lebenszeit ihm noch beschieden sein mag: immer gilt das "Jetzt"! In dem Roman Die nachträglichen Memoiren des Bras Cubas von dem brasilianischen Autor Joaquim Maria Machado des Assis, 1880 erschienen, informiert der Ich-Erzähler im Vorwort seine Leser, dass er sein Werk im Jenseits geschrieben habe. Warum und weshalb, ist für das Verständnis vollkommen unerheblich: "Das Werk an sich ist alles...". Dass in dem Buch sich philosophische Tiefe und allzeit bereite Neigung zum abgedrehten Schmäh ablösen, verwundert wohl nicht. Auch der Roman Winterbergs letzte Reise des tschechischen Autors Jaroslav Rudiš balanciert auf diesem hauchdünnen Grat zwischen Leben und Tod. Der eigentlich schon abgeschriebene schwerkranke Winterberg erwacht durch die Erzählungen seines Pflegers Kraus zu neuem Leben. Davon inspiriert unternehmen die beiden lange Eisenbahnreisen durch Mittel- und Osteuropa auf der Suche nach einer verlorenen Liebe.
In der hoch inspirierenden, aber nicht gerade immer einfachen Völkervielfalt des altösterreichischen Czernowitz hatte dieses "Jetzt" mitunter den Charakter einer Überlebensstrategie. In den Gedichten von Rose Ausländer und Paul Celan wird die existentielle Gefährdung des Menschen als einer seiner Grundkomponente spürbar, während Gregor von Rezzori gelegentlich scheinbar beinahe schnoddrig damit umgeht und das galizische Lebensgefühl zur Satire gestaltet wie in den Maghrebinischen Geschichten.
Mehr als spürbar wird die Bedeutung des "Jetzt" im überbordenden Lebensgefühl der "Napoletanità". Buchstäblich brodelnde Vulkane unter den Füßen (viel gefährlicher als der Vesuv sind die Campi Flegrei, von denen man genau weiß, dass sie eines Tages mit fürchterlicher Wucht ausbrechen werden, aber nicht wann), entwickeln die Neapolitaner eine nicht minder vulkanöse Lust am Leben. "Wenn nur eine einzige Minute lang ein Erdbeben kommt, krachen die Häuser gleich zusammen... Im Dom ist die Camorra", schreibt Marcello d'Orta. Grad deshalb will jetzt gelebt werden, und wie! "Neapel ist ein Pompej, das niemals verschüttet wurde" (Curzio Malaparte: Die Haut).
Konzeption & Moderation
GERD HOLZHEIMER
Sprecher
HANS-JÜRGEN STOCKERL
GERD HOLZHEIMER ist Autor, Herausgeber und literarischer Tausendsassa. Seit 2011 pflückt er in seiner Reihe im bosco immer wieder unterschiedlichste Früchte der Literatur von seinem Baum der Erkenntnis. Dieses Mal zum Thema Hoffnung. In dieser dreiteiligen Reihe wird Gerd Holzheimer von jeweils einem/einer Vorleser*in begleitet.
HANS-JÜRGEN STOCKERL wurde 1958 geboren und absolvierte seine Ausbildung an der Neuen Münchner Schauspielschule. Er ist auf verschiedenen Theaterbühnen und in Film und Fernsehen zu sehen. Seit 1988 ist er zudem Sprecher für zahlreiche Sendeanstalten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Als Sprecher kennt ihn das Publikum aus Radiohörspielen und durch seine Interpretation von Romanen, Spannungstiteln und Klassikern von Friedrich Ani über Nicola Förg bis hin zu Clemens Brentano.
Termine
Mi 27.09.2023 Teil 1: Apfelbäume pflanzen
Mi 22.11.2023 Teil 2: Weil!
Mi 28.02.2024 Teil 3: Jetzt