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Veranstaltungsinfo

Mi, 28.02.2024
20.00 Uhr
Literatur

15,00 / 8,00

Regulär / bis 25 Jahre

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Veranstalter: Theaterforum Gauting e.V.

Gerd Holzheimer: Nur der Not keinen Schwung lassen (Teil 3)

Nur der Not keinen Schwung lassen: Jetzt. Teil 3 der Literaturreihe mit Gerd Holzheimer.

"Nur der Not keinen Schwung lassen", war ein gern gesagter und oft gehörter Spruch in den fünfziger Jahren – von einer Generation also, die Gewaltherrschaft, Krieg und Zerstörung erlebt hatte und sich nun daran machte, aus den Trümmern wieder etwas aufzubauen. Ganz verloren hat sich diese Weisheit nie, auch nicht in Zeiten eines, wie es schien, gesicherten Wohlstands. Im Spiegel der Literatur lassen sich im Lauf der Weltgeschichte vieler solcher Situationen nachlesen, in welchen die Menschen gut daran taten, nicht den Mut zu verlieren. Diesen wollen wir unsere Stimme geben und unser Ohr schenken.
 

Teil 3: Jetzt

Auch wenn niemand weiß, wieviel Lebenszeit ihm noch beschieden sein mag: immer gilt das "Jetzt"! In dem Roman Die nachträglichen Memoiren des Bras Cubas von dem brasilianischen Autor Joaquim Maria Machado des Assis, 1880 erschienen, informiert der Ich-Erzähler im Vorwort seine Leser, dass er sein Werk im Jenseits geschrieben habe. Warum und weshalb, ist für das Verständnis vollkommen unerheblich: "Das Werk an sich ist alles...". Dass in dem Buch sich philosophische Tiefe und allzeit bereite Neigung zum abgedrehten Schmäh ablösen, verwundert wohl nicht. Auch der Roman Winterbergs letzte Reise des tschechischen Autors Jaroslav Rudiš balanciert auf diesem hauchdünnen Grat zwischen Leben und Tod. Der eigentlich schon abgeschriebene schwerkranke Winterberg erwacht durch die Erzählungen seines Pflegers Kraus zu neuem Leben. Davon inspiriert unternehmen die beiden lange Eisenbahnreisen durch Mittel- und Osteuropa auf der Suche nach einer verlorenen Liebe.

In der hoch inspirierenden, aber nicht gerade immer einfachen Völkervielfalt des altösterreichischen Czernowitz hatte dieses "Jetzt" mitunter den Charakter einer Überlebensstrategie. In den Gedichten von Rose Ausländer und Paul Celan wird die existentielle Gefährdung des Menschen als einer seiner Grundkomponente spürbar, während Gregor von Rezzori gelegentlich scheinbar beinahe schnoddrig damit umgeht und das galizische Lebensgefühl zur Satire gestaltet wie in den Maghrebinischen Geschichten.

Mehr als spürbar wird die Bedeutung des "Jetzt" im überbordenden Lebensgefühl der "Napoletanità". Buchstäblich brodelnde Vulkane unter den Füßen (viel gefährlicher als der Vesuv sind die Campi Flegrei, von denen man genau weiß, dass sie eines Tages mit fürchterlicher Wucht ausbrechen werden, aber nicht wann), entwickeln die Neapolitaner eine nicht minder vulkanöse Lust am Leben. "Wenn nur eine einzige Minute lang ein Erdbeben kommt, krachen die Häuser gleich zusammen... Im Dom ist die Camorra", schreibt Marcello d'Orta. Grad deshalb will jetzt gelebt werden, und wie! "Neapel ist ein Pompej, das niemals verschüttet wurde" (Curzio Malaparte: Die Haut).
 

Konzeption & Moderation
GERD HOLZHEIMER
Sprecher
HANS-JÜRGEN STOCKERL

 GERD HOLZHEIMER ist Autor, Herausgeber und literarischer Tausendsassa. Seit 2011 pflückt er in seiner Reihe im bosco immer wieder unterschiedlichste Früchte der Literatur von seinem Baum der Erkenntnis. Dieses Mal zum Thema Hoffnung. In dieser dreiteiligen Reihe wird Gerd Holzheimer von jeweils einem/einer Vorleser*in begleitet.

HANS-JÜRGEN STOCKERL wurde 1958 geboren und absolvierte seine Ausbildung an der Neuen Münchner Schauspielschule. Er ist auf verschiedenen Theaterbühnen und in Film und Fernsehen zu sehen. Seit 1988 ist er zudem Sprecher für zahlreiche Sendeanstalten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.  Als Sprecher kennt ihn das Publikum aus Radiohörspielen und durch seine Interpretation von Romanen, Spannungstiteln und Klassikern von Friedrich Ani über Nicola Förg bis hin zu Clemens Brentano.


Termine
Mi 27.09.2023 Teil 1: Apfelbäume pflanzen
Mi 22.11.2023 Teil 2: Weil!
Mi 28.02.2024 Teil 3: Jetzt

Nach(t)kritik
Die Überschienung des Augenblicks
Nach(t)kritik von Sabine Zaplin

Glaubt man den zahlreichen Umfragen die TV- und Radiosender sowie die Print- und Online-Medien derzeit nicht müde werden zu zitieren, so hat eine nicht gerade kleine Bevölkerungsgruppe derzeit große Angst vor der Zukunft. Tatsächlich sind die Zeiten nicht einfach: der nicht enden wollende Krieg in der Ukraine, das Geschehen in Israel und in Gaza, dazu der Klimawandel und seine immer dramatischer und immer spürbarer werdenden Folgen stimmen nicht unbedingt optimistisch. Würde man die Weltlage mit einem Individuum vergleichen, so läge der Schluss durchaus nahe, dass es sich bei diesem um einen Patienten mit schlechter Prognose handelt. Und doch wagt dieser Patient - in vielen verschiedenen Formen und Varianten - ein geradezu trotziges „Jetzt erst recht!“ oder zumindest ein beherztes „Jetzt!“.

„Jetzt“, lautet auch das Motto des dritten Abends in der Literatur-Reihe „Nur der Not keinen Schwung lassen“, in der Gerd Holzheimer gemeinsam mit dem großartigen Sprecher Hans-Jürgen Stockerl einen Streifzug durch literarische Beispiele unternimmt, die Menschen mit diesem unbedingten Willen zur lebendigen Gegenwart zu Wort kommen lassen. Stellvertretend für alle sei die Geschichte des fast hundertjährigen Wenzel Winterberg genannt, den der 1972 geborene tschechische Schriftsteller Jaroslav Rudis in seinem Roman „Winterbergs letzte Reise“ gemeinsam mit seinem Altenpfleger Jan Kraus auf eine Reise quer durch Europa schickt. Eigentlich  isrt Winterberg, ehe die beiden aufbrechen, dem Tode näher als dem Leben, und damit ihm die letzte „Überfahrt“ ins Jenseits leichter fällt, schickt seine Tochter ihn gemeinsam mit dem jungen Mann los zu den Orten, die Winterberg etwas bedeutet haben - allen voran Königgrätz. Denn jene Schlacht, die sich dort im Jahr 1866 ereignet hat, ist für Winterberg der Dreh- und Angelpunkt der jüngeren Zeitgeschichte, vielleicht sogar jener Moment, in dem „es angefangen hat zu bröckeln“.

Hans- Joachim Stockerl liest diese und die anderen literarischen Auszüge so empathisch und geradezu plastisch, dass vor dem inneren Auge der Zuhörerinnen und Zuhörer die Geschichten lebendig werden können. Man sitzt mit Kraus und Winterberg im Zug und bedauert, dass nicht alle Konflikte dieser Welt einfach „überschient“ werden können. Man streift mit dem jungen Ludwig Ganghofer durch die nächtliche Maxvorstadt und zittert mit dem frechen Nacktbader vor dem Polizisten, der ihn aus dem Universitätsbrunnen herauszitieren will. Denn die Unbedingtheit und Frechheit des jungen Mannes ist jener des Hundertjährigen nicht unähnlich: beide setzen auf den Augenblick und die Tatsache, dass dieser so niemals wiederkehren wird.

Die besondere Würze der Literaturabende mit Gerd Holzheimer sind seine hinreißend erzählten Extempores zu den ganz privaten jeweiligen Bezügen, die ihn mit der vorgestellten Literatur verbinden. So galt er zu seiner eigenen Überraschung aufgrund der Tatsache, dass er mal ein Nachwort zu einer Ganghofer-Ausgabe verfasst hat, lange Zeit in manchen Literaturredaktionen als ausgemachter Ganghofer-Experte. Als solcher wurde er mal zu Dreharbeiten für die Sendung „Zwischen Spessart und Karwendel“ eingeladen und sollte am Gartentörchen vor der Hubertus-Alm, die Ganghofer gehörte, auf einen Moderator warten. Die Situationskomik wollte es, dass dieser eher seriös und zudem edel gekleidete Mann immer wieder auf demselben Kuhfladen ausrutschte, was den „Ganghofer-Experten“ zu solchen Lachanfällen hinriss, dass die Dreharbeiten sich in die Länge zogen und schließlich noch von einem Gewitter samt Platzregen unterbrochen wurden, wobei das teure Designer-Sakko des Moderators ein Opfer des Wolkenbruchs wurde. Dieser so nicht zu inszenierende und wohl auch nicht zu wiederholende Augenblick hätte sowohl dem frechen Nacktbader als auch dem quer durch Europa reisenden Hudertjährigen gefallen - nur der Not keinen Schwung lassen!

Galerie
Bilder der Veranstaltung
Mi, 28.02.2024 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.