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Veranstaltungsinfo

Mi, 07.12.2016
20.00 Uhr
Literatur

15,00 / 8,00

VVK ab 02.07.2016

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Veranstalter: Theaterforum Gauting e.V.

Gerd Holzheimer: Wie hätten wir's denn gern? Ein Idiot, wer nicht sein eigener Politiker sein will: Der Stadtstaat in der Antike (1)

Jeder Vollbürger der Polis, „polítes“ geheißen, geht in die Volksversammlung, kann dort sprechen und abstimmen. Regierung gibt es keine, jeder ist sein eigener „Politiker“. Wer da nicht mitmacht, ist selber schuld, hat keinen Anteil an der Politik, an der Gestaltung seines Gemeinwesens, der Polis. Im Griechischen wird so ein Mensch „Privatmann“ genannt: „idiótes“.
Kultur und Staatlichkeit waren im Ideal der Polis des antiken Griechenland zusammen mit spiritueller Besinnung eine so selbstverständliche Einheit, dass sie nicht reflektiert zu werden brauchten. An den Tagen, an denen die Vollbürger zur Volksversammlung kamen, um über Gesetzesvorlagen abzustimmen, gab es abends Theater, großes Theater, drei Tragödien hintereinander, beschlossen von einem saftigen Satyrspiel.
Aristophanes zum Beispiel, Komödienschreiber von Beruf, war ein Großmeister des „Derbleckens“. In seinen Stücken marschieren Küchengeräte als Zeugen bei einem Prozess auf, Wespen, Frösche und Vögel stürmen die Bühne, die Frösche quaken. In der Komödie Die Ritter, lässt er nichts unversucht, Kleon, den Gegenspieler des demokratischen Supermanns Perikles, „diakomodeîn tina“, also „sauber durchzulassen“, als hinterfotzigen Demagogen. Ein Wurstverkäufer mit dem Namen „Agorakritos“, also „Standl-Politiker“, soll ihn stürzen, was die Sache nicht besser macht. „Er steckt alle Welt in seinen Wurstkessel, rührt alles kräftig durch…, so lange, bis jeder aus diesem Gral wieder emporsteigt wie Phönix aus der Asche, in der ehrwürdigen Tracht eines Marathonkämpfers, aber zum Würstchen verjüngt“, so Lenz Prütting in seiner dreibändigen Studie über den Homo ridens, den lachenden Menschen. Der „demokratische Wurstkessel als Jungbrunnen, der Blutwursthändler als der neue Hoffnungsträger der athenischen Polis“ – das muss man sich mal geben: Blunzen gebacken, Abendland pur. Der Würstlstand als abendländische Denkerbude!

Bei aller gebotenen Ernsthaftigkeit wird es an den Abenden in der Veranstaltungsreihe "Wie hätten wir´s denn gern?? auch unterhaltsam: durch die Auswahl der Texte und ihrer Darbietung durch professionelle Sprecherinnen und Sprecher. Keine staatsrechtlichen Ausführungen sind also zu erwarten, keine Lösungsmodelle, aber Denkansätze im Spiegel von Literatur, Philosophie und Kunst. Gerade in unkommoderen Zeiten darf man eines unter gar keinen Umständen vergessen: das Lachen.

Nach(t)kritik
Wehe den Blunsenhändlern
Nach(t)kritik von Sabine Zaplin

In einer Gegenwart, in der auf der einen Seite des Meeres sich Brüllaffen zu Rettern aufschwingen und nichts Geringeres als das Abendland im Visier haben, während auf der anderen Seite ein Händler mit Marktschreiergebärden die Wähler für sich gewinnt - in solchen Zeiten tut ein Blick auf die Antike gut, auf jene Wiege des Abendlandes, die bei vielen, die sich dasselbe auf die Fahnen schreiben, gänzlich unbekannt sein dürfte. „Wie hätten wir´s denn gern?“ lautet der Titel der aktuellen Reihe von und mit Gerd Holzheimer, deren erster Teil sich ausgiebig und mit vielen Textbeispielen - großartig und teils sogar szenisch in mehreren Rollen gelesen von Axel Wostry - dem Stadtstaat der Antike widmete.

Anfang und Ende und damit den Rahmen bot der Komödiendichter Aristophanes, „so wenig politisch korrekt, dass es nur so scheppert“ (Holzheimer). Dessen „Vögel“ und „Lysistrate“ finden sich noch auf den Spielplänen der Theater wieder, „Die Ritter“ hingegen werden so gut wie nie aufgeführt. Schade: die Geschichte, in welcher der machtgierige Kleon seinem Volk zur Last wird, so dass dieses einen anderen Regenten sucht und diesen in der Gestalt eines Wurstverkäufers findet, ist so aktuell wie kaum ein neues Stück. Der „Blunsenhändler“, wie Holzheimer ihn nennt, hat seinesgleichen in manchem Demagogen heutzutage - denn „Volksverführer“ sind heute nicht minder bekannt als in der Antike. Und das mit dem Erfolg des Wurstkochers einhergehende Chaos, in dem keine Werte mehr Gültigkeit besitzen, dürfte den heutigen Zeitgenossen ebenfalls bekannt sein.

Natürlich steht ein Auszug aus „Die Vögel“ am Ende des Abends. Dazwischen sind die Gedanken eines Aristoteles und eines Platon gesetzt. Aristoteles, der große Theoretiker der Politik und des politischen Handelns ist mit einem wahrhaft umwerfenden Entwurf vom Wert der Muße vertreten: Arbeit, so der Kerngedanke, ist die Basis der Unfreiheit; erst in der reinen, zweckbefreiten Muße ist der Mensch so wirklich Mensch - und kann sich vor keinen Karren spannen, kann sich nicht verführen lassen (zumindest nicht in einer Zeit, die Muße nicht mit Leere verwechselte und für die Leere viereckige Kästen voll Bilder und Blabla erfand).

Platon, dessen berühmtes „Höhlengleichnis“ Wostry in Auszügen exzellent vortrug, hat diese die Freiheit gefährdenden Ablenkungen womöglich vorausgesehen, als er seine Wahrnehmungstheorie von den Gefesselten entwickelte, die das Schattenspiel an der Höhlenwand für die Wirklichkeit halten und sich jeglichem Befreiungsversuch widersetzen, aus purer Angst, etwas anderes als das Virtuelle für wahr nehmen zu müssen.

Das Gegenmodell Platons zumTrugbildern verfallenen Menschen ist jener, der das Wesen der Liebe erkennt als das wahre Wesen der Politik: wer in der Lage ist, das Schöne zu sehen und sich darauf einzulassen, der ist auch in der Lage, sich auf Mehrdeutigkeit einzulassen, Kontroversen auszuhalten und sich von keinerlei Demagogie verführen zu lassen.

Keine einfache Aufgabe, doch die Antike als Wiege des Abendlandes zeigt dem, der sich auf ihre literarischen Zeugnisse einlässt, vor allem: die Quelle politischen Handelns ist Empathie. Ohne Einfühlung, Toleranz und freies Handeln ist eine Gemeinschaft verloren, da sie ihre Werte verliert und zum Spielball für Hetzer und Verführer wird. Man sollte sich ab und zu mal Platon vorlesen lassen, Aristoteles und vor allem Aristophanes.

Galerie
Bilder der Veranstaltung
Mi, 07.12.2016 | © Copyright Werner Gruban, Theaterforum Gauting