Vermutlich gibt es nicht viele andere Berufe, die so nachhaltig mit dem Leben verwoben sind, wie jener des Schauspielberufs. Das haben die Vertreterinnen (die Männer sind hier jetzt einfach mal mitgemeint) dieser Profession in der pandemiegebeutelten jüngsten Vergangenheit besonders schmerzlich gespürt: wie viele premierenreife oder lange im Repertoire gereifte Produktionen und mit ihnen Rollen wurden immer wieder abgesagt und verschoben - wie ein Flugzeug, das immer wieder auf die Startbahn rollt und dann doch zurück in den Hangar muss (wobei beim Flugzeug immerhin Emissionen eingespart werden konnten).
Und manchmal verwebt sich das Leben sogar ganz direkt in das Schauspiel hinein und drängt auf die Bühne. Bei dem Abend, den das bosco-Publikum am Montag gemeinsam mit der Hamburger Schauspielerin Gilla Cremer erleben durfte, war das gleich in doppelter Hinsicht der Fall: so fiel die eigentlich auf dem Spielplan stehende Vorstellung von „Was man von hier aus sehen kann nach dem Roman von Mariana Leky krankheitsbedingt aus (das Virus hatte wieder einmal zugeschlagen). Doch Gilla Cremer, bereits am Vorabend angereist, hat in ihrem VW-Bus immer noch die Bühnenbilder einiger anderer Stücke aus ihrem Repertoire mit an Bord und die dazugehörigen Rollen in ihrem Inneren gespeichert, so dass sie niemals ein Publikum enttäuschen muss. Und so kam an diesem Abend „Das Wunschkind“ ins bosco und mit ihm Margot Varell, Creative Directrice einer florierenden und expandierenden Werbeagentur. Sie hat eine kurze, aber nachhaltige Affäre mit ihrem Chef, doch ehe sie ihm sein bevorstehendes Vaterglück ankündigen kann, bietet er ihr die Leitung der neuen Agentur-Niederlassung in Mailand an. Margot möchte beides, das Kind und en Job. Was also tun? Zum Glück hat ihre spanische Putzfrau bereits gewisse familiäre Erfahrungen mit dem Thema „Leihmutterschaft“ gemacht und bietet dem Embryo gewissermaßen Logis in ihrem Bauch an. Doch damit nimmt die „Odyssee Embryonale“, so der Untertitel des Stückes, erst seinen Anfang.
Wieviel Leben sich in das Schauspiel noch verwoben hat, schildert Gilla Cremer vor der Vorstellung in einer kurzen Einführung: ehe das Werk 1987 seine Uraufführung erlebte, arbeitete Gilla Cremer mit einer Freien Schauspieltruppe zusammen, die aber auf ihre Schwangerschaft damals eher ablehnend reagierte - „Wie stellst Du Dir das vor? Mit einem Baby? Das geht nicht!“ - so dass Cremer, die sich das durchaus und sogar sehr gut vorstellen konnte, beschloss, fortan allein zu spielen, in selbst produzierten Solostücken, als ihre eigene Chefin, ihr eigenes Ensemble. „Das Wunschkind“ war ihre erste Produktion und zugleich ihr Baby. Es folgten und folgen noch jede Menge weiterer „Theater Unikate“, wie sie ihre Arbeit und ihr Arbeiten nennt; auch in Gauting war Gilla Cremer immer wieder zu Gast.
Ihr Erstling hat nichts an Temperament, Witz und Aktualität verloren, auch wenn „Das Wunschlind“ bereits über 30 Jahre und damit nun wirklich erwachsen geworden ist. Gilla Cremer ist eine sehr leidenschaftliche Margot Varell, die sich mit ebenso viel Verve in die kommende Mutterschaft stürzt wie in die neue berufliche Herausforderung, eine sehr emotionale, keinem Chaos aus dem Wege gehende Frau. Gleichzeitig gibt Gilla Cremer die tiefenentspannte Putzfrau Franziska, den auf der Gefühlsebene eher blinden Chef Charly, die Kolleginnen in der Agentur und eine ganze Reihe weiterer Rollen. Mit einem sich immer noch weiter steigernden Tempo, das in einer im Hiphop-Stil gerappten und gestampften Tour zwischen Karriere, Kühlschrank (für Embryos) und Katastrophe seinen Höhepunkt erreicht, bietet dieses herrlich komische Theater Unikat beste Unterhaltung mit Tiefgang.
Es ist bestimmt das Leben selber, das den besonderen Stil dieser Schauspielerin und ihrer Theaterarbeit mit gestaltet hat. Alle Stimmen, alle Farben, die sich hier auf der Bühne entfalten, sind jederzeit so wie gerade erst entstanden und doch spürbar vertraute, langjährige Begleiterinnen. „Vielen Dank, dass Sie heute Abend diese Geschichte mit mir geteilt haben“, sagt Gilla Cremer nach dem lang anhaltenden Applaus. Und dann wird sie „Das Wunschkind“ wohl anschließend wieder in den Tourbus gepackt haben.