In einer Gegenwart, die so gern kräftig und auch häufig die ganz große Glocke schwingt, braucht es einen wie Horst Evers: einen, der die großen Parolen immer wieder mit einem Augenzwinkern auf ihren Gehalt hin ausschüttelt. Einen, der lautstark angekündigte Strategien auf ihre Alltagstauglichkeit hin überprüft. Einen, der so wunderbare Worte erfindet wie „Zuhörgeräusche“ oder „Nahplatzerfahrung“. Letzteres lässt sich entweder zur Bezeichnung der Reaktion des Körpers auf anhaltende Provokation anwenden oder auch ganz praktisch im Zusammenhang mit zu viel in diesen Körper hineingeschaufelter Nahrung.
Überhaupt findet Horst Evers immer wieder erstaunliche Parallelen zwischen politischen Strategien und körperlicher Beschaffenheit. So hat er beispielsweise die Debatte vom Beginn der Ampelkoalition mit großem Interesse verfolgt, in der es darum ging, Lösungen zu suchen für den Umgang mit den wirtschaftlichen Folgen, die durch den Krieg in der Ukraine auch die Bundesrepublik trafen. Ein Lösungsvorschlag lautete damals, man könne doch den „Übergewinn“ der Industrie abschöpfen. Auch die FDP habe damals, erinnert sich Evers, diesen Vorschlag wohlwollend zur Kenntnis genommen, um dann allerdings zu bedenken zu geben, dass man das schon aus dem Grund nicht tun könne, weil es das Wort „Übergewinn“ nicht gebe. Und was es nicht gebe, könne man auch nicht abschöpfen. Einzig „Zufallsgewinne“ gebe es, doch da sage ja schon das Wort, dass ein Abschöpfen dann ebenfalls nur zufällig sein könne. „Ich habe bei dieser Debatte sehr viel für mein eigenes Leben gelernt“, bekennt Horst Evers und führt aus, dass dann wohl auch so etwas wie „Übergewicht“ gar nicht existiere, höchstens könne es so etwas wie Zufallsgewicht geben - „und da wäre ich sofort bereit, dass da jemand mal etwas abschöpft bei mir.“
Mit feiner Ironie und sichtlich großem Vergnügen erzählt Horst Evers sich durch den Abend und erweist sich mit all seinen kleinen Geschichten als ausgezeichneter Beobachter eben jener Details, die im Kleinen schon illustrieren, warum im Großen so einiges nicht funktioniert. Wie kann man sich beispielsweise der eigenen Anwesenheit im Hier und Jetzt eindeutig sicher sein, wenn einem eine DHL-Karte im Postkasten mitteilt, dass man zu dieser Zeit genau das nicht gewesen ist: anwesend? Gerade diese Postpaket-Geschichte zeigt die Besonderheit der Eversschen Methode, Alltagsbeobachtungen ins Absurde hochzudrehen. Denn das Paket, das ihm nicht zugestellt werden konnte, weil er angeblich nicht zuhause war, liegt bei einem angeblichen Nachbarn, den er mit der U-Bahn nach drei Stationen erreicht und bei dem sich noch weitere Pakete stapeln. Am Ende der Geschichte wird der Erzähler zum Paketzusteller, der nun seinerseits abenteuerlichste Zustellversuche unternimmt - eine wilde Achterbahnfahrt alltäglicher Absurditäten. Der Begriff der Anwesenheit wird neu zu definieren sein.
So folgt Geschichte auf Geschichte, eine nach der anderen schildert existentielle Fragen wie die nach dem Hier und Jetzt oder die nach dem sinnorientierten Handeln anhand scheinbar banaler Momente wie jenem im Elektronikgeschäft oder am Umtausch-Schalter im Kaufhaus. Am Ende des Abends finden alle Geschichten zu einem einzigen großen Bogen, der in die Frage mündet: wer profitiert vom Narrativ? Oder anders gesagt: muss wirklich alles an die ganz große Glocke gehängt werden? Ein wohltuend amüsanter Abend eines virtuosen Erzählers.