Direkt zum Inhalt

Veranstaltungsinfo

Di, 08.11.2016
20.00 Uhr
Schauspiel

28,00 / 15,00

Wir führen eine Warteliste

Metropoltheater: Die letzte Karawanserei - von Ariane Mnouchkine

"Lieber ertrinke ich in diesem Wasser als in meinen Tränen!"
In DIE LETZTE KARAWANSEREI begeben sich Menschen auf ihre ganz persönliche Odyssee – mit ungewissem Ausgang.
Menschen fliehen vor Armut und Krieg, der Missachtung ihrer Menschenrechte, Zerstörung von Kultur und der Auslöschung des Individuums in ihren Heimatländern. Obwohl ihre Flucht das Zurücklassen, meist den endgültigen Verlust ihrer Heimat und ihrer Familie bedingt, machen sie sich auf einen unwägbaren und gefährlichen Weg, an dessen Ende sie nur allzu oft mit den nahezu unüberwindbaren Abschottungsstrategien und Zurückweisungen der Aufnahmeländer konfrontiert werden.

Ariane Mnouchkine, Mitbegründerin und Leiterin des Théâtre du Soleil, hat in den Jahren 2001 bis 2003 über 400 Interviews mit Flüchtlingen und Asylsuchenden überall auf der Welt geführt. Ihr daraus entstandenes Projekt DIE LETZTE KARAWANSEREI gibt diesen Menschen Gesichter und ihren Geschichten Raum. Es sind Geschichten, die – obwohl in ihrer Zeit und an konkreten Orten verankert – gegenwärtig mehr denn je auch in anderen Ländern ihre erschreckend genaue Entsprechung finden. Mnouchkine verzichtet auf Schuldzuweisungen und eindeutiges Schwarz-Weiß-Zeichnen und lässt gerade dadurch ein allgemeingültiges, zeitloses Kaleidoskop der menschlichen Entwürdigung entstehen, das nur vereinzelt Momente der Hoffnung und Humanität durchscheinen lässt.

Deutsche Erstauführung
Stückdauer:
ca. 2,5 Stunden, eine Pause
Einführung: 19.15 Uhr

Regie JOCHEN SCHÖLCH
Bühne THOMAS FLACH
Kostüme SANNA DEMBOWSKI
Licht HANS-PETER BODEN
Video DANIEL HOLZBERG
Dramaturgie KATHARINA SCHÖFL
Maske NICOLE WEINFURTNER
Musik ELENI KARAINDROU
Regieassistenz DOMGOJ MASLOV

Mit
BUTZ BUSE, VANESSA ECKART, LILLY FORGÁCH
MARC-PHILIPP KOCHENDÖRFER, PATRICK NELLESSEN
JAMES NEWTON, SOHIE ROGALL, HUBERT SCHEDLBAUER
DASCHA VON WABERER, WLI WASSERSCHEID



Pressestimmen:

DER SCHÖNSTE THEATERABEND
Von Malve Gradinger, Münchner Merkur 04.06.2016

Es ist der schmerzvollste, zugleich schönste und berührendste Theaterabend seit langem. Deshalb muss man „Die letzte Karawanserei“ im Münchner Metropol sehen. Vorlage war Ariane Mnouchkines Projekt „Le dernier caravansérail“, uraufgeführt 2003 von ihrem Pariser Théâtre du Soleil. Die große französische Theaterfrau befragte ab 2001 dafür 400 Flüchtlinge und Asylsuchende zwischen Frankreich und Zentralasien. Inzwischen ist Flüchtlings-Doku-Drama ja der große Trend – als Schnell-Reaktion auf die aktuelle Krise. Metropol-Chef Jochen Schölch packt das Thema eher in seiner Zeitlosigkeit an, macht das immer schon da gewesene, immer fortdauernde Elend der Benachteiligten, Unterdrückten und Machtlosen fühlbar – den Überlebenskampf.
Es gibt wohl zwei spektakuläre Rettungsszenen von Flüchtenden in gefährlich tosendem Gewässer (exzellente Videotechnik: Daniel Holzberg). Aber meist treten diese Mini-Dramen nur kurz und eindringlich aus der Stille heraus und verlöschen wieder im schweigenden Dunkel. Man sitzt wie unter einer Haube der Beklemmung, wenn eine Mutter ihre Tochter zur Prostitution drängt, um das Schleusergeld zusammenzukratzen; wenn die lernbegierige Tschetschenin der Enge des Dorfes durch Flucht in den Westen entkommen will; wenn die Flüchtlinge sich durch ein Loch im Grenzzaun zwängen und sie vom Auffanglager aus daheim anrufen, um den Eltern etwas vom schönen Paris vorzulügen. Man wird sich, fast beschämt erschreckend, auch wieder der eigenen persönlichen Freiheit bewusst, wenn die muslimischen Sittenwächter lautlos hinter ihrer Gazewand hervortreten, um ein Liebespaar zu bestrafen, und der Imam mit Megafon unzählige Verbote brüllt. Eine Frau ist nur noch vollverschleiertes, rechtloses Objekt – hier wird sie aufgehängt.
Die täglich durchs Fernsehen gelieferten Schreckensnachrichten haben uns abgebrüht. Bei Schölch und seinen wunderbar konzentrierten Schauspielern hat man wieder gefühlt.

Nach(t)kritik
Erschreckende Parabel
Nach(t)kritik von Katja Sebald

Eine Karawanserei war eine befestigte Herberge, in der Reisende in unruhigen Zeiten Schutz fanden. Im Osmanischen Reich gab es einst ein Netz von Karawansereien, die dreißig bis vierzig Kilometer voneinander entfernt waren, was der Tagesetappe einer Karawane entsprach. Auch unsere Zeiten sind unruhig. Ein Netz von Karawansereien gibt es für Menschen auf der Reise ins Ungewisse nicht. Dafür Schleuser, die sie auf Lastwagen und in Boote stoßen oder durch ein Loch im Grenzzaun schubsen. Die ihnen ihr Geld abnehmen und sie zum Abarbeiten von immer größeren Schulden oder zur Prostitution zwingen. Die den Menschen, die vor Grausamkeit und Hass geflohen sind, mit neuer Grausamkeit und neuem Hass begegnen. 

„Die letzte Karawanserei“ ist ein Theaterstück über die Abgründe des Menschseins. Ariane Mnouchkine, die Mitbegründerin und Leiterin des Théâtre du Soleil, hat dafür in den Jahren 2001 bis 2003 Flüchtlinge und Asylsuchende an verschiedenen Orten über ihr Schicksal gefragt. Und sie tut das einzig Menschliche, das auch wir alle tun können: Flüchtlinge nicht als Zahlen zu sehen und als Problem, das man mit einer „Obergrenze“ deckeln könnte, sondern als Menschen mit Gesichtern und Geschichten. Menschen, die aus ihren Heimatländern geflohen sind. Sie sind meist nicht freiwillig weggegangen, sondern sie sind vor Armut und Krieg geflohen, vor dem Verlust ihrer Existenz und vor der Bedrohung ihres Lebens, vor der Missachtung der Menschenrechte und der Zerstörung von Kultur. Und viele von ihnen sind nicht freiwillig gegangen, sondern wurden von ihren Familien weggeschickt, in ein ungewisses Schicksal gestoßen, an dessen Ende für die wenigsten das große Glück und das neue Leben in einer „Wohnung an den Champs Elysées“ steht – von dem sie gleichwohl am Telefon ihren besorgten Eltern berichten. 

Jochen Schölch hat das Stück für das Metropoltheater in der ihm eigenen Art ebenso minimalistisch wie gewaltig umgesetzt. Ein hölzerne Bank ist Ort des Aufbruchs, des Wartens und des Ankommens, sie ist mal Liebesnest und mal Folterbank. Den riesigen Metallzaun, der immer wieder zwischen Bühnen- und Zuschauerraum geschoben wird, müssen die Flüchtenden auf dem Weg in eine vermeintliche Freiheit überwinden. Eine halbtransparente Gazewand teilt die Bühne nach hinten. Das zehnköpfige Ensemble spielt vor und hinter dieser Trennlinie, die Drinnen von Draußen trennt, Gegenwart von Erinnerung, Sichtbares von Unsagbarem. Videosequenzen, die auf die Rückwand projiziert werden, erweitern die Realität des Schreckens ins Unendliche: Flüchtende, die einen tosenden Fluss überqueren und vom anderen Ufer aus beschossen werden. Ein winziges Boot in einem sturmgepeitschten Meer, darüber ohrenbetäubender Hubschrauberlärm, der jedoch keine Rettung bringt. Eine nächtliche Fahrt im Lastwagen. All das in immer plastischeren Bildern. 

Die eingeblendeten Ortsmarken und Jahreszahlen spannen ein Netz zwischen Kabul und Teheran, Moskau und Georgien, zwischen dem Aufnahmelager in Calais und einer Amtsstube in Melbourne. Die einzelnen, oftmals sehr kurzen Szenen sind zunächst nur erzählerische Bruchstücke, erschreckende Schlaglichter. Erst nach und nach verdichten sie sich zu Erzählsträngen, schließlich zu Parabeln von grausamer Aktualität. Man könnte die Ortsmarken und die Jahreszahlen austauschen. Und man müsste nur über den Zaun der nächsten Flüchtlingsunterkunft blicken.

Galerie
Bilder der Veranstaltung
Di, 08.11.2016 | © Copyright Werner Gruban, Theaterforum Gauting