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Veranstaltungsinfo

Mi, 04.03.2020
20.00 Uhr
Schauspiel

30,00 / 15,00

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Veranstalter: Theaterforum Gauting e.V.

Metropoltheater München: "Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke" von Joachim Meyerhoff

Tragikomisch und aberwitzig skurril: Ein junger Mann auf der Suche nach dem Sinn des Lebens zwischen den psychischen und physischen Überforderungen der Schauspielschule und dem exaltierten Alltag seiner Großeltern.

Bühnenfassung von Gil Mehmert
Mit Anfang 20 entflieht Joachim der Trauer über den Unfalltod seines älteren Bruders und der Enge seiner kleinen, norddeutschen Heimatstadt, um eine Zivildienststelle in München anzutreten. Zu seiner großen Überraschung besteht er aber auch die eher en passant absolvierte Aufnahmeprüfung an der Otto Falckenberg Schule und zieht, in Ermangelung eines bezahlbaren Zimmers, bei seinen Großeltern ein, die hochherrschaftlich in einer alten Villa am Nymphenburger Schlosspark residieren.
 
Drei Jahre vollbringt er nunmehr den Spagat zwischen Schauspielausbildung, in der er physisch wie psychisch nach allen Regeln der Kunst auseinandergenommen und nur sehr spärlich wieder zusammengesetzt wird, und dem fabelhaft exaltiert-bizarren wie alkoholdurchtränkten Alltag mit seinen Großeltern - die Großmutter einst selbst Schauspielerin und auch privat schillernde Grande Dame der Schauspielkunst, der Großvater Philosophieprofessor und durch und durch ehrwürdige und gestrenge Erscheinung.
 
Eine schier unendliche Reihung von tragikomischen Ereignissen und aberwitzig skurrilen Begebenheiten in beiden Welten lässt den nach dem Sinn des Lebens und des Schauspielerdaseins im Besonderen suchenden jungen Mann ein ums andere Mal staunend, lernend, aber auch überfordert und gerädert zurück. Die Lücken, mit denen das beginnende Erwachsenenleben allerorts für ihn aufwartet, sind, wie er feststellt, gewaltig und noch lange nicht gefüllt.
 
Joachim Meyerhoff, geb. 1967 in Homburg, ist Schauspieler, Regisseur und Autor. Seine Ausbildung erhielt er an der Otto Falckenberg Schule in München. Nach Engagements u.a. am Staatstheater Kassel, Maxim Gorki Theater Berlin und dem Wiener Burgtheater ist er seit 2013 Ensemblemitglied am Deutschen Schauspielhaus Hamburg. „Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“ ist der dritte Teil seines mittlerweile vier Bücher umfassenden Romanzyklus „Alle Toten fliegen hoch“. Die ersten drei Teile wurden 2009 zum Berliner Theatertreffen eingeladen.
 
Gil Mehmert, geb. 1965 in Werne, ist Theater- und Filmregisseur und seit 2003 Professor für Regie im Studiengang Musical an der Folkwang-Universität der Künste in Essen. Er studierte Regie an der Hochschule für Musik und Theater in München bei August Everding und inszenierte an Bühnen in Berlin, Hamburg, München, Wien und Zürich. Sein Schwerpunkt liegt auf der Inszenierung von Musicals und der Bühnenbearbeitung von Filmstoffen, für die er u.a. mehrfach bei den Bayerischen Theatertagen ausgezeichnet wurde. Am Metropoltheater zeichnete Gil Mehmert für Inszenierungen wie „I hired a contract killer“ und „Broadway Danny Rose“ verantwortlich. Acht Jahre nach seiner letzten Inszenierung am Haus („Das Bildnis des Dorian Gray“) kehrt Gil Mehmert nun mit „Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“ ans Metropoltheater zurück.

Ausgezeichnet mit dem Monica Bleibtreu Preis 2019 in der Kategorie Komödie

Regie GIL MEHMERT
Bühne und Kostüme CHRISTL WEIN
Licht HANS-PETER BODEN
Regieassistenz TILL KLEINE-MÖLLER
Bühnenbau ALEXANDER KETTERER
 
Mit VANESSA ECKART, LEAN FARGEL, THORSTEN KROHN, JAMES NEWTON, SOPHIE ROGALL,
NICOLAS WOLF, LUCCA ZÜCHNER
Musik STEFAN NOELLE
 
Dauer 2.30 Std., eine Pause
Einführung 19.15 Uhr



"Was jetzt bei der Premiere zu sehen war, kann man getrost als kleines Theaterwunder bezeichnen: Denn James Newton wirkt wie eine Idealbesetzung, ist sympathischer Verlierer und, ja, Gewinner der Herzen in einem: ein junger Mann, der in die Schauspielerei hineinschlittert, der mit sich selbst hadert und trotz Fehlschlägen immer weitermacht, dabei zwischen Erzählen und Spielen einnehmend changiert. Gil Mehmert hat dazu eine prägnante Bühnenfassung erstellt und bringt diese traumwandlerisch gut auf die Bühne, voller eleganter Szenenwechsel und origineller Einfälle, pendelnd zwischen präzise gesetzten Gruppeneinlagen und glänzend komischen Schauspieler-momenten, zusätzlich einfühlsam rhythmisiert durch Schlagzeuger Stefan Noelle. (...) Die Theatermaschine, die Mehmert mit seinem Team gebastelt hat, funktioniert prächtig." (AZ)
Nach(t)kritik
Whisky und Spiele
Nach(t)kritik von Sabine Zaplin

Wie wird man zu dem Menschen, der man ist? Der Blick auf die eigene Herkunftsgeschichte hat an Bedeutung zugenommen, die wachsenden Stapel mit autobiographischen Büchern in den Buchhandlungen geben ein deutliches Zeugnis davon ab. Augenscheinlich herrscht in der Kunst ein Hunger nach Realität. Der amerikanische Schriftsteller David Schildes formulierte es in seinem 2011 erstmals auf Deutsch erschienenen Manifest „Reality Hunger“ so: „Biografie und Autobiografie sind im Augenblick der Lebenssaft der Kunst.“

Vor diesem Hintergrund ist der Bucherfolg der vierteiligen Autofiktion des Schauspielers Joachim Meyerhoff (Jahrgang 1967), die bei Kiepenheuer & Witsch unter dem Titel „Alle Toten fliegen hoch“ erschienen ist, durchaus erklärlich.

Ausschlaggebend ist aber gewiss auch der wunderbar lakonische Humor, mit dem Meyerhoff auf seinen Lebensweg schaut. Dies ist der Grundton, den die Inszenierung Gil Mehmerts vom dritten, erfolgreichsten Teil der Tetralogie, „Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“ anschlägt, mit der das Metropoltheater in zwei Vorstellungen beim Gautinger theaterforum gastierte.

Mehmert hat aus der Buchvorlage eine Bühnenerzählung gemacht, die aus dem Kopf des jungen Schauspielschülers Joachim herauswächst und szenische Formen annimmt. James Newton, der den Joachim spielt, gestaltet die Welt des jungen Mannes, der seine Ausbildung an der Schauspielschule beginnt und aus Kostengründen bei seinen Großeltern einzieht, mit der ganzen Kraft des „Beginners“, der hinauszieht und die Welt auf sich einströmen lässt. Mal ist er der verwirrte Schauspielschüler, der eher aus Zufall die Aufnahmeprüfung besteht und sich in einer Welt wiederfindet, die bis in seine seelischen Tiefen hinein ihn voll und ganz haben will, alles von ihm wissen will und der er sich in einer Weise offenbaren soll, die ihm zunächst noch fremd ist. Mal ist er dann der geliebte Enkel, der „Lieberling“, der mit der leicht exzentrischen Großmutter - die selber Schauspielerin war - über zu lernende Rollen redet, mit dem akademisch gebildeten Großvater gepflegt diskutiert und mit beiden deren in Jahrzehnten eingeübten Rituale zelebriert, zu denen unter anderem der abendliche Sechs-Uhr-Whisky gehört.

Diese Szenen mit den Großeltern - Lucca Züchner als exaltierte, auf eine sehr kontrollierte Art dem Enkel äußerst zugetan, und Thorsten Krohn als feingliedriger, edler Greis - sind die eine Säule des Abends. Hier entsteht eine Welt, in der Vergangenheit präsent ist und in der Beziehung zum Enkel die Distanz zur Gegenwart offenbar wird; das ist tragisch und komisch zugleich, Insbesondere im Zelebrieren der alkoholgeprägten Tagesstruktur steckt sehr viel Komik, welche die drei Schauspieler auch gern und gekonnt auskosten.

Aber auch die Szenen in der Schauspielschule bieten viel Anlass für Situationskomik und Spiellust. Hier setzen Regisseur und Ensemble noch einmal mehr auf bis ins Groteske umrissene Stereotype, beispielsweise die von Luiza Monteiro als Kunststar angelegte Regisseurin oder der von Oliver Mirwaldt sehr hip ausgestattete Schauspiellehrer. Inez Hollinger und Aydin Aydin spielen, gemeinsam mit Monteiro  und Mirwaldt, die jungen Schauspielschüler dagegen sehr naturalistisch und so, wie sie es womöglich selber während ihrer Ausbildungszeit erlebt haben.

Eine eigene Stimme unter dem ganzen Abend entwickelt Stefan Noelle mit einer Live-Percussion, die innere Bewegung noch einmal ganz anders hörbar macht und den Weg Joachims bis hin zur (Bühnen-)Reife akustisch ebnet. So war es insgesamt ein unterhaltsamer und besonderer Abend, der einmal mehr das Thema „Theater auf dem Theater“ aufgriff und dem Gautinger Publikum diese von ihm doch sehr geliebte Welt wieder ein Stück begreifbarer machen konnte.