Als der Mann auf der Bühne die Ärmel hochkrempelt und sich seines Sakkos entledigt, steht praktisch schon vor dem zweiten Lied fest, dass dies ein unvergesslicher Paolo-Conte-Abend werden wird: Der Mann mit der gelockerten Krawatte ist zwar nicht der leibhaftige Cantautore, aber es handelt sich auch ohne Zigarette im Mundwinkel um einen seiner glühendsten Verehrer – Michele Cuciuffo, gebürtiger Saarbrückener mit italienischen Wurzeln, seines Zeichens Ensemblemitglied am Münchner Residenztheater und auch schon im „Tatort“ und im „Zürich-Krimi“ zu sehen, wird dem bosco-Publikum in den nächsten knapp zwei Stunden mit seiner ganz eigenen Interpretation alle Sehnsüchte und Gefühlsambivalenzen erfüllen, die im Original Paolo Contes Reibeisenstimme auslöst. Es sei „undenkbar, Paolo Conte imitieren zu wollen“, hat Cuciuffo schon 2016 in einem Hörfunkinterview gesagt, kurz nachdem „alles anfing“ mit dieser Leidenschaft, Conte-Lieder als Hommage mit eigenen Arrangements und Stilmitteln darzubringen. Entsprechend heißt das Programm auch „Michele singt, Paolo Conte nicht“ und stellt klar, dass hier zusammen mit seiner Band etwas ganz Eigenständiges entstanden ist. Ähnlichkeiten in der Stimme weist Cuciuffo zwar von sich, aber in der melancholisch-zerknautschten Gebärde kommt er dem eigentlich unerreichbaren Original doch erfreulich nahe: Den aus Contes Feder stammenden Klassiker „Azzurro“, durch Adriano Celentano berühmt geworden und in Deutschland noch mal von den „Toten Hosen“ durch den Wolf gedreht, serviert Cuciuffo gleich mal so herrlich wie ein unausgeschlafener Kellner den Morgen-Espresso, die Leute schmelzen sofort dahin, und Michele erzählt, dass sie bei seinen Auftritten im Münchner "Marstall" umgehend Limoncello gereicht hätten.
Und sie dürfen mit „Sogni d´oro“ die nunmehr entfachten goldenen Italo-Träume mitsamt ihren Brechungen gleich weiter träumen – es öffnet sich für die Zuhörer auf einmal ein großes Sehnsuchtstor, das sich bis zum Ende des Abends nicht mehr schließen wird: „Via con me“, mitkommen! Es sei viel Arbeit gewesen, aus dem immensen Schaffen Paolo Contes die „richtigen“ Stücke auszuwählen und in die geeignete Reihenfolge und Dramaturgie zu bringen, hat der 51-jährige Cuciuffo mal verraten. Er selbst höre gar nicht so viel Musik: „Ich bin eigentlich alte italienische Schule, bei mir läuft immer die Glotze.“ Man mag derlei Nüchternheit kaum glauben, wenn man Michele singen sieht und hört: Er scheint, bei aller „italienischer“ Lässigkeit, jede einzelne Textzeile mitzufühlen und körperlich mitzugehen, jedes traurige Momentum, jedes Fitzelchen Verzweiflung, jede Raserei, jedes bittere Auflachen und jeden trotzigen Triumph in den Liedern – da ist nichts Gekünsteltes oder Nachgestelltes, es sind keine „geliehenen“, entlehnten Emotionen: Die Liebe? Ein „Giocco d ´Azzardo“, ein Glücksspiel. Wir alle: Längst aus dem Paradies vertrieben, sang Conte und singt Ciuffo mit zerknitterter Traurigkeit. Und Michele ist Michele, und der ist echt.
Ohne die vorzüglichen Musiker um ihn herum wäre ein derart sensationeller Auftritt zwischen Jazz, Tango und zirzensischem Scat-Gesang freilich auch nicht denkbar. Allein schon der Beitrag der Klarinette, bei Paolo-Conte-Liedern stets das musikalische Werkzeug, um den Himmel wieder zu weiten, bereitete wahre Wohlfühlbäder. Conte scharte bis zu 13 Musiker um sich, allesamt Jazzer, Cuciuffo kommt mit fünfen aus, von denen er früher mitunter welche aus seinen Schauspielkollegen rekrutierte. Peter Wegele (Piano), Björn Kellerstrass (Schlagwerk), Georg Karger (Kontrabass) und Tobias Weber (Akustikgitarre) waren im bosco mit von der Partie. Wobei der Name des herausragenden Klarinettisten/Saxophonisten, der diesmal die Stammbesetzung Lukas Turtur vertrat, leider unterging.
Das „Wunder“ dieses Abends, der den Musikern fünf Zugaben abverlangte und in die bosco-Annalen eingehen dürfte, ist jedenfalls Musikern zu verdanken, die einem ganz Großen wie Paolo Conte und der zu spürenden Wahrheit seiner Lieder einfühlsamst die Ehre erwiesen und zugleich in dieser Wahrhaftigkeit selbst zu strahlen wussten. Unvergesslich wie der Geschmack eines „gelato al limon“, des von Paolo Conte besungenen Zitroneneis aus Kindertagen.