Ingolf Turban spricht und scherzt gerne mit seinem Publikum. Diesmal war es aber zunächst einmal etwas anders, denn es galt, ein vitales bis heiteres Programm angesichts des 80. Jahrestages der Reichspogromnacht zu rechtfertigen – nicht ohne sich einen kritischen Kommentar zu deutschen Waffenlieferungen verkneifen zu wollen. Das Sterben mit dem Leben zu beantworten, leuchtete ein, zumal hier im Konzertprogramm durchaus auch ernste Töne erklangen, allen voran in einem sehr gewichtiges Stück, dass erst in der Zugabe zu hören sein sollte: Die Hebräische Melodie op. 33 von Joseph Achron, der Sohn eines Laienkantors in einer Synagoge gewesen ist. Es ist im Grunde so etwas wie ein leidenschaftliches Gebet von hochemotionaler Melancholie, in dem es um eine spezifische Atmosphäre geht, die vor allem den Violingesang entrückte und seelentief sprechen ließ.
Solche Momente kamen durchaus schon vorher vor, doch nicht mit dieser Gewichtigkeit, die ihnen Achron zu verleihen vermochte. Die Sonate d-Moll op. 108 von Brahms ist aber ein Werk, das auf alle Fälle von musikalisch-menschlicher Reife erfüllt ist. Mit seiner jüdisch-folkloristischen Tönung stand Achrons Werk in einer gewissen Beziehung zu Brahms, der in seiner Thuner Sonate zu ungarischen Folklore gegriffen hatte. Etwas überraschend stiegen Nishimoto-Neubert und Turban in die Sonate ein, mit einer Art spontanes Fade-in, als würde man mitten im Stück ansetzen. Das Ergebnis des Kunstgriffs war eine unmittelbare Intensität und vorantreibende Lebendigkeit, die das Duo mit Substanz und feurigem Temperament ausstattete, bisweilen sich aber auch verschattet zurücknahm. Daran sollte Brahms im dritten, kapriziös-launischem Satz anknüpfen, der vor allem mit einer temperamentvollen Verdichtung punktete.
Eine besondere, deutlich Brahms‘sche Ästhetik kam davon, dass Turban sehr zurückhaltend mit dem Vibrato umging und betont plastisch gestaltete. Gerade im betörenden Gesang des Adagios bekam der Ton dadurch einen wehmütigen Charakter von erdiger Färbung. Auch im wuchtigen, krachtvollen Presto-Finale, besonders in den wie im Kopfsatz getrübten Rücknahmen, knetete das Duo das Auf und Ab weit in die Extremen.
Einen überaus ernsten Ton schlug auch der anwesende russische Komponist Vladimir Genin (geb. 1958) an, dessen Stück „Pantomime I“ in seiner erzählerischen und zunehmend lyrischen, ja sinnierenden Charakteristik allerdings auch andere Zusammenhänge herstellte. Einerseits harmonisch durchaus nah an der Sonate g-Moll von Debussy, den Nishimoto-Neubert und Turban aber nicht allzu atmosphärisch zum Impressionismus nötigten. Gerade im humoristisch-kapriziösen Zwischenspiel nicht, noch weniger im impulsiven Kopfsatz, erst recht nicht im schwirrend-flammenden Finale nach einer farblich geradezu klangexperimentellen Vorarbeit.
Auf der anderen Seite ging es hier programmatisch um eine szenische Darstellung, wie sie auch in den verbleibenden Werken zu finden waren. Paganini demonstrierte mit „I Palpiti“ op. 13 mit einem Thema aus Rossinis Oper „Tancredi“ seine bravouröse Virtuosität. Sein Freund Rossini komponierte indes ihm zu Ehren „Un mot à Paganini“ als eine Elegie, die irgendwie fragmentiert und expressiv immer wieder zu etwas startete, was sich erst recht spät in einer sentimentalen Schönmelodik ergoss. Eine szenische Idee war hier offenkundig, ohne eindeutige Hinweise auf den Inhalt.
Bedauerlich nur, dass gerade diese brillant-virtuosen Werke Nishimoto-Neubert in die reine Begleitung nötigten. Sie tat es zwar mit höchster Sorgfalt und Detailpräzision, doch viel mehr als eine Reihe diverser Anschlagtechniken, die sie mit Bravour demonstrierte, gaben ihr die Werke nicht an die Hand. Das sollte auch im großen Finale mit de Sarasates Fantasie über Bizets Oper „Carmen“ op. 25 so bleiben. Während Turban mit waghalsiger Virtuosität glänzte und mit spieltechnischer Gewandtheit seine großartige Spieltechnik demonstrierte, hatte es Nishimoto-Neubert schwer, mit den simplen Begleitmotiven ihre pianistische Kunst zum Sprechen zu bringen. Turban genoss indes das fingerakrobatische Feuerwerk im Part der Violine und euphorisierte das Publikum zu einem frenetischen Schlussapplaus noch weit über die Zugabe hinaus.