Wie würden Robert Griess und seine drei Kolleg*innen das vergangene Jahr in ihrer „Schlachtplatte“ zubereiten? fragte sich die Rezensentin auf dem Weg ins bosco. Schließlich war 2022 wie kaum ein Jahr zuvor von eher düsterer Natur - ein Jahr, das wenig Anlass zum lächelnden Kopfschütteln bot. Wie würde sie aussehen, die „Jahres-Endabrechnung 2022“, nachdem diese in den meisten Haushalten eher Anlass zur Besorgnis und im besten Fall zum Austausch der alten Heizung gab?
Sie traten in weißen Kitteln auf: Kathi Wolf, Sebastian Schnoy, Jens Heinrich Claassen und Robert Griess. Der Abend wurde zur Offenen Notfall-Sprechstunde erklärt, der Patient - das Jahr 2022 - wurde auf Herz und Nieren geprüft, in die Röhre geschoben, durchleuchtet und untersucht. Die Symptome des Patienten waren nämlich besorgniserregend: Er litt im Bewegungsapparat an Flughafen-Obstipation (im Security-Bereich war teils kein Durchkommen mehr möglich) und an Morbus Dis-Chronikus hinsichtlich der dauerverspäteten Bahn. Hinzu kamen hochsommerliche Wahnvorstellungen bezüglich möglicher Massen-Erfrierungen in ungeheizten Winterräumen und ein grundsätzlicher Pessimismus in allen Lebenslagen. Experten waren also gefragt, und Expertise brachten die vier Doktores reichlich mit: Sebastian Schnoy in dokumentarisch-schreibender Hinsicht als „Ghostwriter von Prinz Harry“, Jens Heinrich Claassen als unehelicher Sohn von Karl Lauterbach, Kathi Wolf mit ihren Erfahrungen in Gender-Studies an der Pamela-Anderson-Universität und Robert Griess natürlich als Chefarzt.
Die Diagnose war ebenso niederschmetternd wie satirisch erheiternd: 2022 war das „Land der Untergangspropheten - sie blasen Alarm und fordern mehr Raketen!“ Zur Angst vor Blackout und Kältewinter kam die Angst vor Putins Unberechenbarkeit. Doch das Diagnoseteam konnte, in bester medizinischer Weise, auch hier beruhigen: „Zum Glück sind die Brücken in unserem Land in einem Zustand, der eine Panzerüberfahrt unmöglich macht, und außerdem würden die GPS-gesteuerten russischen Panzer alle in Brandenburg steckenbleiben, denn da gibt es kein Netz.“
Ein weiterer Befund zum Zustand des Notfall-Patienten 2022 war, dass dessen Grüne Seite stark gelitten hatte. Am Beispiel des Alt-Grünen Torben, verkörpert von Robert Griess, ließ sich das ausgezeichnet veranschaulichen. Denn während dieser sich noch sehr gerührt an ein altes Wahlplakat erinnerte, auf dem einst der Slogan „Petting statt Pershing“ stand, wirft ihm sein Sohn Titus-Aurelius den Besitz eines Diesel-SUV vor. „Das ist ein Volvo“, empört sich Torben, „das ist die Verbrenner gewordene Friedenstaube.“ Immerhin würde er doch den Sohn damit jeden Freitag zur Fridays-for-future-Demo fahren, „bewusst mit diesem Volvo, damit alle deinen soziokulturellen Hintergrund bemerken.“ Aber künftig könne der Filius natürlich auch die Hyper Green Sensitive Self-Mobility nutzen, sprich: zu Fuß gehen. Immer noch besser, als das Werfen von Lebensmitteln auf Kunstwerke: sehr einfühlsam schlüpften die vier gemeinsam in die Rolle eines Gemäldes (wobei Sebastian Schnoy seine Stand-up-Talente bewies und einen „Versprecher“ von Griess charmant aufgriff).
Neben weiteren Befunden gab es noch manche Neben-Diagnose, sei es zum Zustand der Bundeswehr, sei es zu Reichsbürgern oder zum endgültigen Abschied von Queen Elisabeth und dem Presse-Echo darauf. Ein Highlight des Abends waren die musikalischen Beiträge - samt musikpsychologischen Kommentaren - von Jens Heinrich Claassen am Klavier, allen voran der Song „Buchstaben-Suppe“, der wie eine Hommage an Kurt Tucholsky klang.
Am Ende stand, wie in den Vorjahren, die Erkenntnis: „Alles wird gut“. Und das bleibt tatsächlich auch inständig zu hoffen.