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Veranstaltungsinfo

So, 10.01.2016
20.00 Uhr
Schauspiel

28,00 / 15,00

Staatsschauspiel Dresden: Bilder deiner großen Liebe - Wolfgang Herrndorf

In seinem letztem Roman zeichnet der Autor Wolfgang Herrndorf eine düstere Welt.
Am Anfang scheint alles schon zu Ende zu sein: In „Bilder deiner großen Liebe“, Wolfgang Herrndorfs letztem Roman, zeichnet der Autor eine düstere Welt. Sie ist bewuchert von dumpfen und rätselhaften Menschen – also genau jenem Anteil von Leuten, vor denen Maik Klingenbergs Eltern in „Tschick“ immer gewarnt haben; nur dass Maik und Tschick ausschließlich tolle Begegnungen mit tollen Fremden hatten. Nicht so Isa. Sie trifft im Grunde auf niemanden, dem sie vertrauen kann – außer sich selbst. Das macht ihre ohnehin schon hoffnungslose Situation noch aussichtsloser. Im Roman erklärt sie: „Der Abgrund zerrt an mir. Aber ich bin stärker.“ Aus schlimm wird schlimmer. Den ganzen Tag lang. Und doch gibt es eine Kraft, die das Mädchen trägt. Atemlos folgt man einer Heranwachsenden, die sich vorbehaltlos und unvorsichtig ins Leben schmeißt. Isa ist eine über-dem-Abgrund-Schwebende in ihrer Verrücktheit, ihrer Radikalität und auch in ihrer Gefährdung. Ihre Einsamkeit ist nicht die Einsamkeit des Verlassenseins; ihre Einsamkeit ist eine existentielle Erfahrung. Deshalb ist sie auch kein bedauernswertes Opfer, sondern eine starke, junge Frau.
 
Wolfgang Herrndorfs unvollendetes Fragment erinnert an Büchners „Lenz“ – gestrickt nach dem Muster einer road novel ist es nicht nur die eigenwillige Geschichte eines vierzehnjährigen Mädchens, das barfuß durch die Welt stolpert. Es ist auch eine Tarnung, mit deren Hilfe Wolfgang Herrndorf vielleicht konsequenter denn je die Auf-sich-Zurückgeworfenheit und Brutalität von Leben erzählt hat im Angesicht des Todes.
Jan Gehler hat nach "Tschick" auch diese Uraufführung von Wolfgang Herrndorf auf die Bühne gebracht. Er hat in Dresden u. a. bereits sehr erfolgreich die Uraufführung „Ein Exempel“ von Lutz Hübner und Sarah Nemitz, „Supergute Tage oder die sonderbare Welt der Christopher Boone“ von Mark Haddon sowie zuletzt Shakespeares „Wie es euch gefällt“ inszeniert.

Dauer der Aufführung: 1 ¾ Stunden, keine Pause
nach dem Roman von Wolfgang Herrndorf | Theaterfassung von Robert Koall | Uraufführung am 19. März 2015
Regie JAN GEHLER
mit LEA RUCKPAUL // HOLGER HÜBNER
Regie Jan Gehler
Bühne Sabrina Rox
Kostüm Cornelia Kahlert
Dramaturgie Julia Weinreich
Licht Olaf Rumberg

„Ein trauriger Stoff. Hauptdarstellerin Lea Ruckpaul spielt ihn mit viel Leichtigkeit. Der Premierenabend am Staatsschauspiel Dresden – er endet mit Stille. Und dann doch Applaus, viel Applaus.“ ARD Nachtmagazin, 20.03.2015

„Überragend gespieltes Theater. Lea Ruckpaul gewinnt alle Sympathien, ist eine wunderbare mädchenhafte Erwachsende, ebenso energisch, schlagfertig und impulsiv wie in die poetischen Textpassagen versunken.
Der um einen reichlichen Kopf größere Holger Hübner steht der Protagonistin Isa an Liebenswürdigkeit nicht nach, findet etwa bei der Erinnerung an seine erste Liebe auch zu anrührend melancholischen Tönen oder bei der Reminiszenz an „Tschick“ zum Halbstarken-Gestus von Maik. Alle Register des Komödianten beherrscht Hübner mit trockenem Humor ohnehin, man fühlt sich bei ihm reflexartig stets an den Klaus Uhltzscht aus Thomas Brussigs „Helden wie wir“ erinnert.“ nachtkritik.de / Dresdner Neueste Nachrichten, 21.03.2015, Michael Bartsch

„Behutsam, klar, sparsam, zart läuft der Abend ab. Lea Ruckpaul spielt Isa suchend und kämpferisch, sie gibt ihr Ironie in langen Monologen. Man sieht sie gern. Behutsam, klar, sparsam, zart läuft der Abend ab. Holger Hübner macht aus kleinen Rollen viel. Er spielt den brummigen Kapitän, der väterlich Isas verletzten Fuß verbindet. Später gibt er einen ruppigen Mann und schließlich Tschicks Kumpel Maik, hübsch überzogen mit hängendem Kopf.
Als Hommage an einen klugen, gewitzten Autor lässt sich der Abend gut empfehlen.“ Sächsische Zeitung, 21.03.2015, Rafael Barth

„Lea Ruckpaul, die schon in ‚Tschick‘ Isa war, spielt toll. Eine kleine Person mit ungeheurer Bühnenpräsenz.“ Dresdner Morgenpost, 21.03.2015, Guido Glaner

„Mich hat vor allem das Mädchen überzeugt. Die Schauspielerin wird in Erinnerung bleiben und sie wird ihren Weg gehen.“ Deutschlandradio Kultur/Fazit, 19.03.2015, Volker Trauth

„Man spürt sie, Isas Frechheit, ihre Verrücktheit, ihr Selbstbewusstsein, ihren lebensbejahenden Weltzweifel, von Minute zu Minute mehr. Ruckpaul schlüpft in ihre Figur wie in ein paar enge, elastische Schuhe. Der Schuhanzieher, das ist Herrndorfs Text.
Unaufdringlicher als hier kann man dem Schriftsteller Wolfgang Herrndorf – und seinem Werk – kaum huldigen.
Der materielle Minimalismus des Bühnenbilds – und der gesamten Inszenierung – mögen nebenbei den Theateretat schonen. In erster Linie aber überzeugt diese Kargheit ästhetisch, weil sie alle Konzentration auf die Worte lenkt, und auf die Weise, wie Lea Ruckpaul diesen Worten Geltung verschafft.“ Neues Deutschland, 21.03.2015, Martin Hatzius

„Nein, als Erbauungsstück für Jugendliche, gar als Mutmachtheater im Sinne Volker Ludwigs taugt das nicht. Zum Kassenknüller à la ‚Tschick‘ auch nicht. Aber zu einem leisen, poetischen Theaterabend.
Den Teenager, das rotzige, pseudo-abgebrühte, sehnsüchtige Mädchen, spielt Lea Ruckpaul überzeugend. Jan Gehler inszeniert behutsam, er will den Text wirken lassen.“ Süddeutsche Zeitung, 26.03.2015, Mounia Meiborg

„Ein wohltuend unaufgeregter, angemessener Abend in memoriam Wolfgang Herrndorf.“ Theater heute, Mai 2015, Christine Wahl
Nach(t)kritik
Geschwätziger Gegenentwurf
Nach(t)kritik von Thomas Lochte

Um es gleich vorweg zu sagen: Lea Ruckpaul als „Isa“ in „Bilder einer großen Liebe“ ist ein Muster an Konzentration, und Holger Hübner als männliche Projektionsfläche an ihrer Seite tatsächlich von sanfter, bärenhafter Präsenz – das nach dem Romanfragment von Wolfgang Herrndorf entstandene Stück allerdings ist eher geschwätzig als stringent oder gar „von leiser Poesie“, wie es Dramaturgin Julia Weinreich den bosco-Besuchern vorher schmackhaft zu machen suchte. Das deutsche Feuilleton hat sich natürlich längst darauf geeinigt, dass etwas aus dem geistigen Kosmos des „Tschick“-Autors Wolfgang Herrndorf per se etwas Großartiges zu sein hat, und so wird eben auch sein düsterer Geschwister-Entwurf zu „Tschick“ mit einiger Ehrfurcht auf die Bühnen der Republik gebracht – die helle Seite des Mondes aber wird laut Weinreich derzeit an 96 Theatern im Land gespielt und steht allein am Staatsschauspiel Dresden vor der 150.Aufführung.

Die Inszenierung von Jan Gehler (der bei „Tschick“ als Regieassistent debütiert hatte) ist der angeblichen Hoffnungslosigkeit seiner Hauptfigur Isa keineswegs auf den Leim gegangen – sie bildet sie gar nicht erst ab: Was die Theater-Kritik und ganze Literatur-Seminare offenbar in dieser angeblich„14-Jährigen“ zu erkennen meinen, zumindest das Gautinger Gastspiel gibt es nicht her. Lea Ruckpauls Isa ist gewiss eine hochsensible, leicht vorwitzige und auch neurotische junge Frau, die ziellos durchs Leben taumelt, doch die angeblichen Abgründe, an denen sie entlang wandelt, werden kaum sichtbar - echte Verzweiflung sieht anders aus, sie verstummt eher und brabbelt nicht unentwegt. Das Spiel mit den Herrndorf´schen Motiven - eine Heckler & Koch-Waffe, mit der sich der bereits todkranke Schriftsteller am 26.August 2013 in Berlin selbst das Leben nahm und um die er bereits in seinen Blog-Einträgen lange gekreist hatte; Sätze voller Überdruss an der unheilbaren Dummheit der Welt („Alles Idioten, und wir müssen´s ausbaden“) – all das bleibt hier im Behauptungsstadium stecken. Spannender als das irgendwie schutzlos in die Welt geworfene Mädchen ist bei dieser Konstellation schon eher dieser „Pu, der Bär“ (Holger Hübner), der für Isa mal wie ein knuddliger Puchingball oder auch nur als Stichwortgeber oder Orientierung bietender Schiffslenker wirkt, dann wieder die fehlende Vaterfigur abgibt und ein anderes mal für das grundsätzlich Bedrohliche aller Männer zu stehen scheint – Bilder deiner großen Liebe?

Wenn „Tschick“ schon als Roman der große weltumarmende und deshalb umjubelte Entwurf Herrndorfs war, dann soll dies nun „post mortem auctoris“ die Kehrseite der Medaille gewesen sein, auf die man sich nun pflichtschuldigst ebenfalls einzulassen hat: Man hat zwar verzweifelte junge Frauen schon in inflationärer Zahl auf den Bühnen dieser Welt leiden sehen, aber offenbar noch nicht in dieser „chicen“ Form – aufgeladen mit großer Deutungs- und Bedeutungsfläche (Futter fürs Dramatische Gestalten aller deutschen Oberstufen, wette ich) und innerhalb des Staatsschauspiel-Ensembles Dresden gemäß Julia Weinreich heftig diskutiert. Sogar das „minimalistische Bühnenbild“, auf ein Text-Zitat zurückgehende „unklare Konturen der Berge“, wurde von der Kritik entgegen aller Schlichtheit tüchtig beraunt. Die beiden Darsteller können freilich nichts dafür für das ganze Gewese, mit dem man in ihre fragmentarischen Rollen zu viel hineingeheimnist hat – sie und die Regie tun ihr Bestes, um Herrndorfs wirren Abgesang an die Welt irgendwie zu ordnen und dem arg Monologlastigen einen Schuss Hoffnung und Kontra und sogar Komik beizumengen. Ein mit zitternder Hand geschriebenes Stück bleibt es dennoch, ebensowenig zu retten wie das Leben dieses eigentlich großen Autors. Langer Beifall im bosco, der ein wenig nach Erleichterung am Ende einer Trauerfeier klang.

 

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So, 10.01.2016 | © Copyright Werner Gruban