Direkt zum Inhalt

Veranstaltungsinfo

So, 03.04.2016
20.00 Uhr
Schauspiel

28,00

Theater Wuppertal: Hiob - von Joseph Roth

WO GUTES GETAN WIRD, DORT IST MEINE HEIMAT.
UND EINE HEIMAT, DIE NICHTS GUTES TUT,
IST KEINE HEIMAT.
Joseph Roth
 
"HIOB"-FASSUNG VON KOEN TACHELET
Stückeinführung: 19.15 Uhr
 
Der gläubige Jude Mendel Singer fristet mit seiner Frau Deborah und den vier Kindern ein bescheidenes Dasein als Lehrer in einem kleinen wolhynischen Schtetl. Der älteste Sohn Jonas drängt zum Militär, der zweite, Schemarjah, desertiert und geht nach Amerika, die Tochter Mirjam lässt sich mit Kosaken ein und Menuchim, der Jüngste, scheint unheilbar krank. Ausgerechnet ihn, den Schwächsten, müssen die Singers in Russland zurücklassen, als die Welt des Schtetls sich als nicht mehr tragfähig erweist: Sie planen, ihrem Sohn Shemarjah, jetzt Sam, nach Amerika zu folgen.
Hiob erzählt eine zeitlose Geschichte von der Auflösung familiärer Bindungen. Von den Fesseln der Tradition und den Verlockungen neuer Welten. Von Emigration und Assimilation. Und von Glaube und Verzweiflung. Bereits im Titel klingt die alttestamentarische Geschichte von Hiob, dem von Gott geprüften Dulder, an. Ein solcher Hiob ist Mendel Singer: Ein „ganz gewöhnlicher Jude“, passiv in seiner Gottergebenheit, der schließlich, vom Schicksal hart geschlagen, Gott durch Frömmigkeitsverweigerung zwingen will, ihn zu erretten.

Roths Roman wurde sofort ein großer Erfolg, nur übertroffen vom nächsten, den er schrieb, der den Titel Radetzkymarsch trägt und 1932 erschien. Hiob wurde bald in etliche Sprachen übersetzt, von Künstlern illustriert, in einer englischen Zeitung 1936 von Marlene Dietrich als ihr Lieblingsbuch gelobt. Roth, der selbst kein Bühnenautor war, ließ eine erste Dramatisierung von Hiob zu und war bei der Vorbereitung dabei; die Aufführung fand wenige Wochen nach Roths frühen Tod im Juli 1939 in Paris statt, von SchauspielerInnen des Max Reinhardt Ensembles und mit Musik von Erich Zeisl gespielt. Seine berühmte Leserin saß im Publikum.
Koen Tachelet hat den Roman zu einem Theaterstück geformt, dabei Roths Dialoge, seine einfache und so eindrückliche Sprache, seine bildhaften Beschreibungen belassen, um das berührende Schicksal der Familie Mendel und ihrer Kinder auf der Bühne erlebbar zu machen.


Patrick Schlösser debütierte 1999 am Düsseldorfer Schauspielhaus mit Messer in Hennen von David Harrower. Von 2000 bis 2002 war er fester Regisseur am Schauspielhaus Bochum: u.a. Triumph der Liebe von Marivaux und Der Leutnant von Inishmore von Martin McDonagh. Am Deutschen Theater Berlin inszenierte er Das Sparschwein von Eugène Labiche. Ab 2003 Arbeiten am Düsseldorfer Schauspielhaus: Gespenster von Henrik Ibsen, Der Impresario von Smyrna von Carlo Goldoni, Die Jungfrau von Orléans von Friedrich Schiller, Ernst ist das Leben. Bunbury von Oscar Wilde/Elfriede Jelinek und Süden von Julien Green. In Krefeld/Mönchengladbach inszenierte er die Oper Werther von Jules Massenet. Weitere Inszenierungen, u.a. am Schauspielhaus Graz, Volkstheater Wien, Theater Lübeck und am Staatstheater Kassel, wo er von 2010 bis 2014 als Oberspielleiter tätig war.
Mendel Singer / Miko Greza
Deborah, Mendels Frau / Julia Reznik
Jonas, Mendels Sohn / Thomas Braus
Schemarjah, Mendels Sohn / Alexander Peiler
Mirjam, Mendels Tochter / Philippine Pachl
Menuchim, Mendels Sohn / Uwe Dreysel
Der Doktor / Der Rabbi / Kapturak, ein Schlepper / Der Kosake / Mac, ein Amerikaner  / Sameschkin, ein Bauer / Der Psychiater / Skowronnek, ein Musikalienhändler // Stefan Walz
 
Regie & Bühne | Patrick Schlösser
Video-Mapping | Stefan Pfeifer / Peter Thoma
Kostüme | Susanne Leitner
Musik | Wolfgang Siuda
Dramaturgie | Susanne Abbrederis
Regieassistenz | Mona vom Dahl
Inspizienz | Luisa Rubel
 
PREMIERE AM 21. November 2015 in Wuppertal
Aufführungsdauer 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause


 
Nach(t)kritik
Ein ganz gewöhnlicher, alltäglicher Jude
Nach(t)kritik von Sabine Zaplin

Wie soll man leben? Gemäß den Gesetzen einer höheren Macht oder folgend den Pfaden hin zum persönlichen Glück? Wie interpretiert man die Schicksalsschläge, die das Leben einem bereithält? Als gerechte Strafe? Als Hinweis darauf, dass man entweder vom rechten Weg abgekommen ist oder den richtigen Weg noch nicht gefunden hat? Oder einfach nur als Pech?

„Ich bin ein ganz gewöhnlicher, alltäglicher Jude“, sagt Mendel Singer. Gewöhnlich sind die Umstände seines Lebens, alltäglich der Umgang damit. Drei seiner vier Kinder sind gesund, der Jüngste - Menuchim - ist Epileptiker. Man müsse ihn ins Krankenhaus bringen, sagt Mendels Frau Deborah, oder wenigstens zu jenem Rabbi, der Wunder vollbringt. Doch Mendel lehnt ab, er braucht niemanden zwischen sich und Gott. Mendels Sohn Jonas will zu den Soldaten, sein Sohn Schemarjah will Kaufmann werden, seine Tochter Mirjam zieht es zu Männern hin. Jeder hat eine andere Vorstellung vom Leben, und jede dieser Vorstellungen ist grundverschieden von jener Mendels. 

Wie soll man leben? Amerika scheint eine Lösung zu sein. Ein Kind ohne den Zaren und seine Armee, ohne Kosaken und ihre Anziehungskraft auf junge Frauen wie Mirjam. Ein Land mit Perspektiven für Schemarjah, der hier erst zu Sam und dann zu einem erfolgreichen Geschäftsmann wird. Kein Land für ein krankes Kind wie Menuchem. Er wird zurückgelassen, als Mendel mit Frau und Tochter zu Sam auswandert. Zurück bleibt auch Jonas, der lieber Soldat ist und bei den Pferden lebt. Doch tragen die Glücksversprechen der Fremde ein Leben lang? „Haben wir den freiwilligen Entschluss gefasst, nach Amerika zu gehen, oder ist dieses Amerika einfach über uns gekommen?“ fragt Deborah noch vor der Abreise. Amerika kommt dann gewaltig über sie, nimmt ihr im aufziehenden Krieg noch den amerikanischen Sohn, Sam, der nun auch Soldat wird und als Soldat fällt. Am Ende bleibt Mendel allein, bleibt ihm nur noch sein Glaube, und als er diesen ins Feuer wirft, als er seinen Gott zu verbrennen versucht, erkennt er in den Flammen den entscheidenden Hinweis: was in ihm brennen soll, was ihn am Leben hält, ist die Liebe. Und erst jetzt findet er den Weg zu seinem fremdesten, entferntesten Sohn - zu Menuchem, der längst bei ihm ist.

Das Theater Wuppertal ist mit „Hiob“ nach dem Roman von Joseph Roth zu Gast in Gauting. Regisseur Patrick Schlösser hat mit seinem immens starken Ensemble eine stark verdichtete Version (Dramatisierung von Koen Tachelet) auf die Bühne gebracht, die gerade im entschieden Einfachen eine Pointiertheit entfacht, die direkt unter die Haut geht, mitten hinein in die Schaltzentrale des Gewissens. Wie würde man selber handeln? Würde man wie Mendel Singer seinen Überzeugungen treu bleiben oder wie Deborah das Beste für die Kinder wollen? Würde man sein Glück suchen wie Mirjam oder Schemarjah, wie Jonas? Wie weit würde man gehen, so oder so?

Hart aneinandergeschnitten sind die dichten Szenen, wie in Stein gemeißelt die Sätze, mal direkt über die Rampe gesprochen, mal im Dialog entwickelt. Auf der Bühne nichts als die Holzschnittversion eines kahlen Baumes, der erst am Ende und auch nur in der Projektion treibt und grünt. Eine Tür, in der immer wieder mal ein Gesicht auftaucht oder ein ganzer Mensch. Die Treppe hinunter in den Saal, über die Botschaften aus der Fremde hinaufgebracht werden. Todesnachrichten. Briefe. Verzweifelt nach dem Glück suchend, den Gefühlen folgend ist Philippine Pachls Mirjam. Gesetzestreu wie die Vater, nur einem anderen Gesetz, nämlich dem des Handels, schickt Alexander Peiler seinen Schemarjah auf den Weg ins Leben. Naiv und zugleich kraftvoll, klar ist der Jonas von Thomas Braus. Julia Reznik lässt die Deborah, die nur das Gute will, immer wieder zweifeln, bis die Verzweiflung sie am Ende zerstört. Lukas Mundas, der für den erkrankten Uwe Dreysel eingesprungen ist, lässt aus dem Kranken Menuchim den zum Künstler gereiften Menuchim wachsen. Und Miko Greza verwandelt Mendel Singer vom stur den Gesetzen Folgenden zum Handelnden, durch Erkenntnis Gereiften. Einer, der seinen Stolz erst am Boden kriechend verlieren muss, um die Liebe zur Welt und zum Leben gewinnen und empfinden zu können. „Immer weißt du die falschen Sätze auswendig“, wirft Deborah ihrem Mann einmal vor. Am Ende weiß dieser keinen einzigen Satz mehr auswendig. Jetzt spricht er direkt aus dem Herzen. Sätze, die bleiben.

Galerie
Bilder der Veranstaltung
So, 03.04.2016 | © Copyright Werner Gruban, Theaterforum Gauting