Im September 2021, kurz nach der zweiten Machtübernahme der Taliban, zu einem Zeitpunkt, zu dem die Westmächte und viele Hilfsorganisationen, aber auch Diplomaten und Privatleute Afghanistan verlassen haben, lässt sich die Fotografin Alea Horst in einer Schubkarre über die Grenze von Pakistan nach Afghanistan schieben. Gehüllt ist sie in eine Burka, in der Tasche trägt sie 20.000 Euro Spendengelder mit sich. Lange wird sie an der Grenze aufgehalten. Eine Traube Grenzschützer, Männer, steht um sie herum und diskutiert. Alea Horst schweigt, denn das ist das Gebot der Frauen: Sie dürfen nicht sprechen. Ihr Gepäck wird lange durchwühlt, doch dann hat sie es endlich geschafft und ist unversehrt in das ihr noch unbekannte Taliban-Land eingereist. Ein Wunder ist geschehen: Die Spendengelder sind unangetastet. Mit ihrer Hilfe wird die mutige junge Frau im Namen Ihres Vereins Alea e.V. Lebensmittel für einige tausend Menschen kaufen können. Rationen, die drei Monate reichen.
Das ist die Geschichte, die Alea Horst zu Beginn ihres Vortrags am Abend der Ausstellungseröffnung erzählt. Sie tut dies freundlich zurückgenommen, sie buhlt nicht um Applaus für ihre gute Tat, sie dokumentiert. Damit berührt sie das Publikum tief – trotz des warmen Abends haben viele Menschen den Weg ins bosco und zur Ausstellungseröffnung gefunden. Sie alle erleben einen Abend, der anfasst, traurig und nachdenklich macht, schockiert, aufrüttelt, aber doch auch immer überstrahlt wird von der positiven und fröhlichen Art der Frau, die von ihrer Arbeit erzählt.
Alea Horst ist Hochzeitsfotografin. Sie fotografiert im schönen Rheingau schöne Menschen beim Feiern, auf Burgen und anderen Traumkulissen, lichtet Hochzeitstorten und Champagnerkelche ab. Doch dann fallen die Bomben auf Syrien und Alea Horst spürt: So kann mein Leben nicht weitergehen. Sie denkt an ihre Vorfahren, daran, dass sich Hadamar ganz in der Nähe ihres Wohnortes befindet, ein Ort, an dem über 15.000 Menschen vom Nazi-Regime getötet wurden. Sie fragt sich: was hätte ich damals getan? Was kann ich heute tun? Und entschließt sich, ihre Arbeit in den Dienst der guten Sache zu stellen. Sie reist für Hilfsorganisationen nach Bangladesh, wo sie Kinderarbeit fotografiert. Nach Rumänien für die Kinderhilfe. Nach Aleppo für SOS Kinderdörfer. Und an die Außengrenzen der EU, nach Bosnien und nach Lesbos, um dort in den Lagern für Geflüchtete Bilder zu machen. Aber nicht nur das, sie spricht mit den Menschen, die sie abbildet, interessiert sich für ihre Geschichte, zeichnet diese auf, macht u.a. ein Buch mit dem, was ihr Kinder, die auf der Flucht vor dem Krieg nun in Lagern zu unwürdigen Bedingungen groß werden müssen, erzählen. „So sollte es nicht sein“, sagt eines der Kinder zu ihr, das mit seiner Familie, fünf Menschen, in einem halben Zelt lebt, in dem nicht einmal Platz ist, um sich beim Schlafen auf die andere Seite zu drehen.
Die Bilder ihrer Afghanistanreise, die bis Ende Juli im bosco zu sehen sind und von Lesungen und Vorträgen zum Thema flankiert werden, sind großartig in ihrer Klarheit, von bestechender Ästhetik. Sie sind politisch und privat zugleich, sie dokumentieren schonungslos, aber sie alle tragen auch den Glanz und strahlenden Farben ihrer Urheberin in sich. Bei aller Hoffnungslosigkeit erkennt man den Funken Zuversicht in ihnen. Die Zuversicht, die die treibende Kraft in Alea Horsts Leben und in ihrer Arbeit ist.
Eine Zuversicht und eine Kraft, die man wohl nur erringen kann, wenn man es schafft, wie die Fotografin aus der eigenen Komfortzone herauszukommen. Zu helfen und sein Herz öffnen, anstatt nach eigenem Wohlstand und Wachstum zu streben. Empathisch zu sein.