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Veranstaltungsinfo

Di, 05.11.2024
20.00 Uhr
Literatur

15,00 / 8,00

Regulär / bis 25 Jahre

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Veranstalter: Theaterforum Gauting e.V.

Gerd Holzheimer: Schwellen des Lebens (Teil 1)

Schwellen des Lebens: Über die Schwelle. Die Familie Haushofer in Kunst, Wissenschaft und Politik. Teil 1 der Literaturreihe mit Gerd Holzheimer.
In dieser kleinen Reihe beschäftigt er sich mit Biographien von Menschen, die aus seinen Büchern oder Filmen bekannt sind.

Bei der Familie Haushofer, dem Zeichner Olaf Gulbransson und dem „Apfelpfarrer“ Korbinian Aigner geht es immer wieder um die Frage: Wie verhält man sich in politisch prekären Phasen, die Zivilcourage oder sogar Todesmut verlangen? Die Antworten fallen unterschiedlich aus. Es geht nicht darum, aus heutiger Sicht bequem zu richten und Urteile von richtig oder falsch zu fällen. es geht darum herauszufinden, weshalb der eine so, der andere so gehandelt hat. Biographien anderer Menschen können immer helfen, die eigene besser verstehen zu lernen und so Handlungsalternativen für sich selbst zu entwickeln.

Jeder Mensch kennt Schwellen im Leben. Man kann furchtsam vor ihnen stehenbleiben, weil man sich den Wechsel nicht zutraut, oder darüber hinwegsetzen, um einen Aufbruch zu wagen. Jede schwelle, jede Tür bedeutet den Übertritt von einer auf die andere Seite, den Beginn von etwas neuem, den Eintritt in einen anderen Lebensraum.

Teil 1: Über die Schwelle. Die Familie Haushofer in Kunst, Wissenschaft und Politik.

Es gibt viele bemerkenswerte Familien in Bayern. Die Familie Haushofer gehört in ganz besonderer Weise dazu. Geradezu exemplarisch gehen über fünf Generationen hinweg aus ihrer Mitte Frauen und Männer aus der Kunst, der Wissenschaft und der Politik hervor, die sowohl im 19. wie im 20. Jahrhundert maßgebend am künstlerischen, gesellschaftlichen und politischen Leben in Bayern beteiligt sind.

Gerd Holzheimer stellt einige Mitglieder der Familie vor, so Max Haushofer (1811–1866), Landschaftsmaler und Gründer einer Künstlerkolonie auf der Fraueninsel im Chiemsee. Sein zweiter Sohn Max (1840–1907) wird Nationalökonom, Politiker und Schriftsteller; Thomas Mann gehört zu seinen begeisterten Studenten. Dessen Sohn Karl (1869–1946) ist Vorreiter der Geopolitik in Deutschland, deren Thesen sich auch Hitler bedient. Er unterhält enge Kontakte zu führenden Nationalsozialisten wie Rudolf Heß – einem gern gesehenen Gast und Freund des Hauses. Nicht zuletzt wird er gebraucht, um die Ehefrau Martha, die jüdischer Herkunft ist, zu schützen.

Albrecht Haushofer (1903–1945) hingegen, Marthas und Karls Sohn, versucht, von innen heraus, also aus den Institutionen des NS, „das Schlimmste“ zu verhindern. Schließlich sucht er immer mehr die Nähe zum Widerstand und wird nach dem Stauffenberg-Attentat verhaftet. Im Berliner Gefängnis verfasst er seine berühmten Moabiter Sonette, bevor er kurz vor Kriegsende erschossen wird. Seine Eltern nehmen sich 1946 am Hartschimmelhof, dem Familiensitz, ein Stück oberhalb des Ammersees gelegen, das Leben. In der Landwirtschaft finden andere Mitglieder der Familie wieder Boden unter den Füßen.

Konzeption & Moderation
 GERD HOLZHEIMER
Sprecher
HANS-JÜRGEN STOCKERL

GERD HOLZHEIMER ist Autor, Herausgeber und literarischer Tausendsassa. Seit 2011 pflückt er in seiner Reihe im bosco immer wieder unterschiedlichste Früchte der Literatur von seinem Baum der Erkenntnis. Dieses Mal zum Thema Hoffnung. In dieser dreiteiligen Reihe wird Gerd Holzheimer von jeweils einem/einer Vorleser*in begleitet.

HANS-JÜRGEN STOCKERL wurde 1958 geboren und absolvierte seine Ausbildung an der Neuen Münchner Schauspielschule. Er ist auf verschiedenen Theaterbühnen und in Film und Fernsehen zu sehen. Seit 1988 ist er zudem Sprecher für zahlreiche Sendeanstalten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.  Als Sprecher kennt ihn das Publikum aus Radiohörspielen und durch seine Interpretation von Romanen, Spannungstiteln und Klassikern von Friedrich Ani über Nicola Förg bis hin zu Clemens Brentano.

Termine
Dienstag, 05.11.2024 Teil 1: "Die Familie Haushofer in Kunst, Wissenschaft und Politik"
Donnerstag, 16.01.2025 Teil 2: "Der Zeichner Olaf Gulbransson"
Sonntag, 13.04.2025 Teil 3: "Der „Apfelpfarrer“ Korbinian Aigner"

Nach(t)kritik
Familiengeschichten
Nach(t)kritik von Sabine Zaplin

Das versprochene Nähkästchen, aus dem der Gautinger Schriftsteller und Literaturkenner Gerd Holzheimer an diesem Abend - und auch den folgenden Abenden der neuen Literaturreihe - plaudert, ist ein Beamer mit dazugehöriger Leinwand. So sind die Protagonistinnen und Protagonisten der „Schwellen des Lebens“ von Anfang an mit dabei und schauen mal ernst, mal heiter ins Publikum. Zum neuen Format, das die optischen Eindrücke neben die bisher vor allem auf das Hörerlebnis zielenden stellt, gehören noch der Nachdruck eines Gemäldes und eine umfangreiche Ahnentafel. Es ist die Ahnentafel der Familie Haushofer, die sich bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen lässt. Über welche Schwellen die Familienmitglieder verschiedenster Generationen zu gehen hatten, das ist nicht zuletzt mit den vielen optischen Beispielen in Form von Gemälden, Buch-Erstausgaben und Portraits eindrucksvoll nacherlebbar - vor allem im Zusammenspiel mit Hans-Jürgen Stockerl, der mit seiner farbreichen Stimme die Haushofers und ihre Zeitgenossen wie Zeitgenossinen zu Wort kommen lässt.

Denn das ist auch im neuen Format das Kennzeichnende und wie immer Besondere an dieser Literaturreihe: dass hier zwei Menschen, die sich beide für das Thema des Abends auf emotionaler wie intellektueller Ebene begeistern, über das Gelesene austauschen und im fortwährenden Gespräch darüber sind.

Als zentrale Metapher für die aktuelle Reihe hat Holzheimer die „Schwelle“ gewählt, über die zu gehen ist, die zu überwinden ist, vor der sich aber auch stehenbleiben und im Zweifelsfall von ihr aus zurückgehen lässt, wenn die Umstände es erfordern. Ihrerseits ist die Schwelle Hindernis und Herausforderung zugleich, sie markiert einen Weg, setzt einen Rahmen, wird zur Irritation. Im Fall der Familie Haushofer könnte sie durchaus zu einem markanten Teil des Familienwappens werden, wenn es ein solches gäbe. Denn die Schwellen-Begegnungen dieser Familie sind schon beinahe epochenbezeichnend. So hat beispielsweise der 1811 geborene Maximilian Haushofer, der die Malerei studieren wollte, das Schließen der Malereiklasse an der Münchner Akademie dazu genutzt, sich selber eine Schule zu suchen, die er in der freien Natur fand. Eine Wanderung zur Fraueninsel im Chiemsee, Staffelei und Farben im Gepäck, mündete in den Beginn der Plein-air-Malerei, dem Malen außerhalb geschlossener Akademieräume, und führte zur Gründung einer der ersten Künstlerkolonien - wie sie zur selben Zeit auch beispielsweise in Worpswede entstanden.

Max Haushofers Sohn Karl, ein Mineraloge, machte sich das Bewusstsein für die Qualitäten der Natur gemäß seines Forschungsgebietes zu eigen und rief als Gründungsmitglied gemeinsam mit anderen den Deutschen Alpenverein ins Leben. Der Legende nach - und hier zeigt das auf der Leinwand vergrößerte DAV-Edelweiß eindrucksvoll den Zusammenhang - verlief diese Gründungsversammlung derart eintönig, dass der gelangweilte Karl Haushofer eine der auf dem Wirtshaustisch des Gründungslokals bereitstehende Semmel nahm, diese aushöhlte und aus dem Klumpen ein Edelweiß formte: das Logo des Alpenvereins war geboren.

Und so schreitet die Familiengeschichte der Haushofers voran. Das Künstlerische setzt sich durch, zur Malerei gesellt sich die Literatur, und einer der ersten, die sich dem Schreiben widmen, ist Max Haushofer der Jüngere, seines Zeichens Professor der Volkswirtschaft (unter seinen Studenten sitzt ein gewisser Thomas Mann), der sich an einem prophetischen Science-Fiction-Roman mit dem Titel „Planetenfeuer“ versucht - Hans-Jprgen Stockerl hat sich das Buch umgehend bestellt

cEiner der letzten in der Familiengeschichte ist Albrecht Haushofer, der im letzten Drittel des Abends immer wieder eine Stimme bekommt - schon, als es noch um seine Eltern geht Karl Haushofer der Jüngere (geb. 1869) und dessen Frau Martha. Beiden setzt Albrecht in seinen Sonetten „Der Vater“ und „Die Mutter“ ein literarisches Denkmal. Die Sonette entstanden kurz vor seiner Ermordung durch die Nazis, während der Nazi-Haft in Moabit und sind als „Moabiter Sonette“ in die Literaturgeschichte eingegangen.

Die Fäden der Haushofer-Familiengeschichte laufen zusammen auf dem Hartschimmelhof bei Andechs. Mit dem Bild dieses Hofes klingt der Abend aus, und auf dem Heimweg hört die Rezensentin zwei Damen aus dem Publikum einander den Weg dorthin beschreiben. Manche Schwelle liegt eben sehr nah.