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Veranstaltungsinfo

Do, 16.01.2025
20.00 Uhr
Literatur

15,00 / 8,00

Regulär / bis 25 Jahre

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Veranstalter: Theaterforum Gauting e.V.

Gerd Holzheimer: Schwellen des Lebens (Teil 2)

Schwellen des Lebens: Zwischen Widerborstigkeit und Kontemplation. Der Zeichner Olaf Gulbransson. Teil 2 der Literaturreihe mit Gerd Holzheimer.
In dieser kleinen Reihe beschäftigt er sich mit Biographien von Menschen, die aus seinen Büchern oder Filmen bekannt sind.

Bei der Familie Haushofer, dem Zeichner Olaf Gulbransson und dem „Apfelpfarrer“ Korbinian Aigner geht es immer wieder um die Frage: Wie verhält man sich in politisch prekären Phasen, die Zivilcourage oder sogar Todesmut verlangen? Die Antworten fallen unterschiedlich aus. Es geht nicht darum, aus heutiger Sicht bequem zu richten und Urteile von richtig oder falsch zu fällen. es geht darum herauszufinden, weshalb der eine so, der andere so gehandelt hat. Biographien anderer Menschen können immer helfen, die eigene besser verstehen zu lernen und so Handlungsalternativen für sich selbst zu entwickeln.

Jeder Mensch kennt Schwellen im Leben. Man kann furchtsam vor ihnen stehenbleiben, weil man sich den Wechsel nicht zutraut, oder darüber hinwegsetzen, um einen Aufbruch zu wagen. Jede schwelle, jede Tür bedeutet den Übertritt von einer auf die andere Seite, den Beginn von etwas neuem, den Eintritt in einen anderen Lebensraum.

Teil 2: Zwischen Widerborstigkeit und Kontemplation. Der Zeichner Olaf Gulbransson.

Der geniale Zeichner Olaf Gulbransson, der maßgeblich das Bild der Satirezeitschrift Simplicissimus geprägt hat, ist ein Zeitgenosse, der uns zeigt, wie man bald starrköpfig eigensinnig, bald meditativ gelassen durch Widrigkeiten des Seins kommt und dabei auch noch lachen kann. Es lohnt sich sehr, diesen kraftstrotzenden Gefühls- und Seelenmenschen genauer kennen zu lernen, einen Menschen der Widersprüche, der Licht- und Schattenseiten.

1905 illustriert Olaf Gulbransson Ludwig Thomas Lausbubengeschichten. Mehr noch als durch den Text selbst prägt sich im Gedächtnis der Leser der Haarschüppl eines vierschrötigen Lausbuben ein, wie ihn Gulbransson gezeichnet hat - dieser Widerstandsschüppl im unfrisierbaren Haarschopf eines bairischen Buben. In ihm manifestiert sich hartnäckig eine grundsätzliche Widerborstigkeit gegen alles Ordnende, Systematisierende, Glättende und vor allem Obrigkeitliche. Das ist die eine Seite, auch im Leben des Olaf Gulbransson.

Eine andere: Viel und oft ist der Tegernsee gemalt worden, aber keiner hat ihn so gesehen wie der Norweger Olaf Gulbransson: als norwegischen Fjord in bayerisch-japanischen Bergen, der Hirschberg als Fujiyama, als genial vereinfachter, weiser, heiliger Berg hinter dem See. Ein Bild, von dem sich Dagny Gulbransson erinnert, dass ihr Mann es an dem Tag malte, als die Niederlage von Stalingrad in Deutschland bekannt wurde. Tiefer Friede geht von diesem Bildnis aus: Himmel, Hirschberg, Starenkobel sind in zartem, reinem Lichtblau gehalten, eine einzige große Einheit.

Mit der Erzählung seines Lebens entsteht in der Polarität von Widerborstigkeit und Kontemplation zugleich ein Stück Zeitgeschichte – und vor allem auch eine Geschichte für jeden von uns: Wie verhalte ich mich in dieser Welt, auch und vor allem wenn es eng wird? Auch stellt sich einmal mehr dabei die Frage, ob sich Werk und Leben eines Künstlers voneinander trennen lassen.

Konzeption & Moderation
 GERD HOLZHEIMER
Sprecherin
ANNA VEIT

GERD HOLZHEIMER ist Autor, Herausgeber und literarischer Tausendsassa. Seit 2011 pflückt er in seiner Reihe im bosco immer wieder unterschiedlichste Früchte der Literatur von seinem Baum der Erkenntnis. Dieses Mal zum Thema Hoffnung. In dieser dreiteiligen Reihe wird Gerd Holzheimer von jeweils einem/einer Vorleser*in begleitet.

ANNA VEIT stammt aus Niederbayern und studierte an der Musikhochschule München und am Konservatorium Wien. Sie wurde u.a. mit dem 1. Preis des deutschen Bundesgesangswettbewerbs in der Kategorie Chanson ausgezeichnet. Engagiert wurde Anna Veit u.a. von der Volksoper Wien, dem Theater Trier und den Bad Hersfelder Festspielen. Sie kreierte eigene Chanson-Programme und ist am Kontrabass sowie als Sängerin an verschiedenen Projekten beteiligt, so beispielweise in Sondheims NewYorker Inszenierung von "Sweeney Todd" als Lucy und als Teil der Band "Mrs. Zwirbl". Neben der Bühne widmet Anna Veit sich dem Projekt "Zukunftsmusiker" in pädagogischer Mission, arbeitet u.a. für Chöre des Bayerischen Sängerbundes und gründete 2019 zusammen mit Sängerin und Pädagogin Amélie Erhard das SingSpielKombinat LieNa.

Termine
Dienstag, 05.11.2024 Teil 1: "Die Familie Haushofer in Kunst, Wissenschaft und Politik"
Donnerstag, 16.01.2025 Teil 2: "Der Zeichner Olaf Gulbransson"
Sonntag, 13.04.2025 Teil 3: "Der „Apfelpfarrer“ Korbinian Aigner"

Pressestimmen
Der Biograf und sein Ebenbild
Pressestimme von Volker Ufertinger
Erschienen in:   Starnberger Merkur

Gerd Holzheimer hat nicht nur eine Biografie über den norwegischen Maler und Zeichner Olaf Gulbransson geschrieben, die er mit Anna Veit am Donnerstag im Bosco vorstellte. Er sieht ihm auch zum Verwechseln ähnlich.

Gerd Holzheimer wurde 1950 geboren, Olaf Gulbransson starb 1958. Sie verlebten also volle acht Jahre gemeinsam auf diesem Planeten. Das muss man wissen, sonst könnte man den deutschen Schriftsteller Holzheimer glatt für eine Wiedergeburt des norwegischen Malers und Zeichners Gulbransson halten. Der eine schaut dem anderen aus dem Gesicht gerissen ähnlich, der Kahlkopf, die Falten, der ganze Ausdruck. Sogar die Größe ist mit 173 Zentimetern identisch. Nur einen Unterschied gibt es: Gulbransson hatte große, abstehende Ohren. „Die hat der Gerd nicht“, stellte seine Frau Inge am Donnerstag im Bosco fest. Dort las Anna Veit aus der Biografie, die Holzheimer über sein Ebenbild verfasst hat und deren zweite Auflage derzeit in Arbeit ist. Der Autor selbst moderierte.

In der Tat hat die verblüffende Ähnlichkeit zwischen dem Biografen und seinem Gegenstand schon die eine oder andere ungewöhnliche Situation heraufbeschworen. So wurde der Klinge-Preisträger einmal gefragt, ob er nicht in einem experimentellen Kurzfilm Gulbransson darstellen will. Das tat er gerne, mit Dreharbeiten in Ohlstadt. Ein andermal begrüßte ihn eine indische Professorin, die wegen ihres Hindu-Glaubens an Reinkarnation glaubt, ganz selbstverständlich mit den Worten: „Der Olaf!“ Und wenn Holzheimer – wie er es in diesem Sommer getan hat – Norwegen besucht, wird er hin und wieder sonderbar angeschaut. Man kann es sich schon vorstellen, dass mancher seinen Augen nicht traut.Wie dem auch sei: Olaf Gulbranssons Zeichnungen sind heute vielen Menschen noch bekannt. Sie haben sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt, darunter die Illustrationen für Ludwig Thomas „Lausbubengeschichten“ oder viele satirische Darstellungen aus dem berühmten Simplicissimus. 1902 folgte Gulbransson, vermittelt über den norwegischen Nationaldichter Bjørnstjerne Bjørnson, einer Einladung des Simplicissimus-Verlegers Albert Langen nach München. Er kam, um zu bleiben. Viele Jahre verbrachte er am Tegernsee, in der Scherervilla, wo heute noch seine Enkelin wohnt. Dort führte er nebenbei auch das Skispringen ein.

Holzheimer bewundert Gulbransson schon lange. Den Menschen mit seinen Widersprüchen schildert er so: „Auf der einen Seite wild und dynamisch, auf der anderen Seite tief kontemplativ und mit einer großen Sehnsucht nach Ausgleich.“ Nicht weniger hat es ihm der Künstler angetan. Vor allem imponiert dem Wahl-Gautinger die große Spannbreite seines Schaffens, von gnadenlosen Satiren im Simplicissimus bis hin zu zarten, extrem reduzierten Naturdarstellungen vom Tegernsee. Holzheimers liebstes Bild stammt von dem Tag, an dem Stalingrad fiel. Es ist extrem meditativ und zeigt einen Star vor seinem Kasten, dahinter der Hirschberg in majestätischer Ruhe.

Bezüge ins Würmtal fanden sich an diesem Abend reichlich. So erzählte Holzheimer, dass der in der Waldpromenade lebende Gauleiter Adolf Wagner dem Norweger wegen seiner Simplicissimus-Vergangenheit nach dem Leben getrachtet hat. „Dieser Kopf gehört nach Dachau“, soll Wagner gesagt haben. In seiner Not wendete sich der Maler an Joachim von Ribbentrop, Reichsminister des Auswärtigen Amts und damit in der Nazi-Hierarchie deutlich über Wagner angesiedelt. Die beiden kannten sich, weil Ribbentrop vor seiner politischen Karriere als Sekt-Vertreter für Henkel gearbeitet hatte – und Gulbransson hatte für das Unternehmen Reklame gezeichnet.

Oder Grete Jehly. Die aus Bludenz stammende Schriftstellerin lebte zeitweise in der Villa Berlepsch in Planegg. Eines Tages hatte sie Idee, bei Albert Langen nachzufragen, ob er nicht ihre Werke verlegen möchte. Sie machte sich auf den Weg in die Redaktion des Simplicissimus und traf dort auf den bulligen Norweger Olaf Gulbransson. Es dauerte nicht lange, da waren die beiden ein Paar. Segen ruhte allerdings keiner auf der Beziehung, die Ehe (es war die zweite von drei) wurde 1923 geschieden. „Es waren zwei Alphatiere, das konnte nicht gut gehen“, vermutete Holzheimer.

Auch Anna Veit, die einige Passagen aus der Biografie vorlas, hat ihre eigene Geschichte mit Olaf Gulbransson: Ihr Großonkel Ludwig Veit war es, der den Nachlass des Künstlers im Germanischen Nationalmuseum aufarbeitete – und damit Holzheimer vorgearbeitet hat. Kein Wunder, dass beide an diesem Abend prächtig harmonierten. Es ist eine dieser „Fügungen“, von denen der Autor an diesem Abend sprach.

Zu Gulbranssons Enkelin Jorun, die heute noch am Schererhof hoch über dem Tegernsee lebt, hält Holzheimer nach wie vor Kontakt. Aus Dankbarkeit für sein andauerndes Interesse hat sie ihm einmal die Brille ihres Großvaters überlassen, die er heute noch im Alltag trägt. Wie könnte es anders sein: Sie passt wie angegossen.