Seit 36 Jahren unterstützt Helma Sick Frauen, sich finanziell unabhängig zu machen. Eine Mission, die sie auch mit 82 Jahren noch vorantreibt. Jetzt kommt sie nach Gauting.
INTERVIEW: CAROLIN FRIES
„Ich hatte Glück, mein Thema gefunden zu haben“, sagt Helma Sick. Das mag stimmen, ist allerdings ziemlich tief gestapelt. Die 82-Jährige gilt als Grande Dame der Frauen-Finanzen. 1987 hat sie als eine der Ersten in Deutschland ein unabhängiges Finanzberatungs-Unternehmen für Frauen gegründet. Die Firma führt inzwischen ihre Nichte, sie selbst ist nur noch an drei Tagen in der Woche im Münchner Büro und hält Vorträge – demnächst ist sie in Gauting zu Gast. Als wollte sie dem grauen Tag einen Streich spielen, kommt Helma Sick gut gelaunt in pinkfarbener Strickjacke über den Flur. Ein Cappuccino zum Gespräch, und dann kann es auch schon losgehen.
SZ: Sie sprechen in ihrem Vortrag über historische Frauenbilder. Welche Frau aus der Vergangenheit ist Ihnen ein Vorbild?
Helma Sick: Das ist ganz klar Pauline Stegemann, geboren 1838. Sie war die Urgroßmutter von Jutta Limbach, der ehemaligen Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts. Pauline Stegemann war verheiratet mit einem Maurer und Mutter von vier Kindern, sie gründete den ersten Berliner Arbeiterfrauen- und Mädchenverein. Vor allem aber sahen sich Stegemann und ihr Mann als gleich verantwortliches, gleichberechtigtes und gleich verpflichtendes Ehepaar. Sie wollte immer wirtschaftlich unabhängig sein und eröffnete im Keller des Mietshauses einen Gemüsekeller. Nach dem Tod des Mannes war dies die einzige Einnahmequelle. Von einem Leiden Paulines unter der Mehrfachbelastung durch Erwerbstätigkeit, Familienarbeit und politischem Engagement war weder in ihrer Familie noch im Freundeskreis jemals die Rede.
Die allermeisten Frauen aber hatten mit Geld wenig am Hut. . .
Das war der Ausgangspunkt meiner Recherchen: Wie kann es sein, dass die Hälfte der Bevölkerung so wenig Verständnis für Geld hat beziehungsweise die Bedeutung nicht erkennt? Es gibt kaum Material dazu. Aber allerhand Geschichten, auch lustige und absurde. Zusammenfassend musste ich feststellen, dass Frauen über Jahrhunderte kein Geld haben durften. Handel und Gewerbe waren Domäne der Männer. Bis in die Mitte des vergangenen Jahrhunderts war es so, dass Vermögen, das eine Frau mit in die Ehe brachte, der Verwaltung und Nutznießung ihres Mannes unterworfen war. Frauen galten als beschränkt geschäftsfähig. Ich musste bei all dem, was mir da begegnet ist, mitunter nicht, ob ich lachen oder weinen sollte.
Wie kam es dazu?
Das beschäftigt mich sehr. Ich weiß bis heute nicht, wo das angefangen hat. Denn dass Frauen mit Geld umgehen konnten, haben sie immer wieder bewiesen, indem sie beispielsweise mit geringen Mitteln ganze Großfamilien durch schlechte Zeiten gebracht haben. Aber sie waren immer zuständig fürs kleine Geld. Bis 1962 durfte eine Frau kein Konto eröffnen. Noch 1977 konnte ein Mann den Job seiner Frau kündigen, wenn er mit ihrer Hausarbeit nicht zufrieden war.
Was ist davon noch heute in den Köpfen von Frauen?
Es gibt zum Glück viele gut verdienende Frauen, die auch vorsorgen. Aber immer noch zu viele, die nicht wissen, was ihr Mann verdient oder ob und wie Geld in der Familie angelegt ist. Und zu viele, die nicht erwerbstätig sind und freiwillig ein Leben wie ihre Großmutter leben.
Das ärgert Sie . . .
Weil Frauen sich damit abhängig machen. Wer kein Geld hat, ist nicht frei. Ich habe das schon in meiner Jugend im Bayerischen Wald gesehen. Viele Frauen waren unglücklich in ihren Ehen, konnten aber nicht gehen, weil sie wirtschaftlich abhängig waren. Und auch später als kaufmännische Leiterin eines Frauenhauses war es so, dass fast alle misshandelten Frauen kein Geld hatten. Oft war der Entzug von Geld ein Teil der Misshandlung.
Ihr Ratschlag an Frauen: Geht arbeiten!
Heutzutage haben fast alle Frauen eine Ausbildung, das war früher anders. Umso wichtiger ist es, die Ausbildung zu nutzen, um erwerbstätig zu sein. Der Knackpunkt im Leben aller Frauen, die Nachwuchs wollen, ist das erste Kind. Ein Paar mag noch so gleichberechtigt sein, sobald das erste Kind kommt, wird oft noch die traditionelle Form gewählt: Der Vater geht arbeiten, die Mutter bleibt beim Kind. Ich plädiere dafür, die Elternzeit zu teilen. Dann müsste kein Elternteil zu lange aus dem Job aussteigen. Anschließend sollte es für ein, zwei Jahre eine Familienarbeitszeit geben, in der beide Elternteile in Teilzeit arbeiten und vom Staat einen Zuschuss bekommen. Ansonsten ist die wirtschaftliche Einbahnstraße der Frau vorgegeben.
Meist steigen Mütter hierzulande erst nach zwei oder drei Jahren wieder in Teilzeit in den Job ein.
Sollten sich Eltern auf dieses Modell verständigen, muss der Mann einen Ausgleich schaffen, um die entstehende Rentenlücke der Frau zu füllen. Oft fällt es den Frauen schwer, solche Forderungen an den Mann zu stellen. Sie haben dann Angst, als gierig zu gelten. Dabei handelt es sich um eine nachvollziehbare und berechtige Forderung. Stattdessen behaupten Männer gerne, die Frau hätte dafür das Glück mit dem Kind. Wie dreist!
Und es heißt auch, dass Geld nicht glücklich macht.
Es geht nicht darum, immer mehr haben zu wollen und Geld zum Selbstzweck zu vermehren. Sondern so viel zu haben, dass man eigenständig leben kann. Das ist das Ziel meiner Tätigkeit. Ich habe in mehreren Jahrzehnten gelernt: Geld entscheidet, ob eine Frau bei ihrem Partner bleiben kann oder muss. Da beklagen manche, dass die Scheidungsraten steigen – dabei ist das ja nicht unbedingt negativ. Heutzutage können Frauen die Beziehung beenden, wenn es nicht mehr passt. Das ist eine Errungenschaft!
Wie viel Geld braucht eine Frau?
Sie sollte von ihrem eigenen Einkommen leben können. Eine Frau kann auch ein paar Jahre Zuhause beim Kind bleiben, das kann man ausgleichen. Aber es geht heute nicht mehr, zehn oder 15 Jahre auszusteigen. Und es funktioniert auch nicht, sich auf den Mann zu verlassen. Was mir Frauen alles schreiben! Da lassen die Ehemänner nach 30 Jahren ihr Vermögen nach Luxemburg oder in die Schweiz verschwinden und die Frauen bekommen bei der Scheidung nicht das, was ihnen zusteht.
Der Mann als Gutverdiener, die Frau im Minijob. Der Staat fördert das Modell mit dem Ehegattensplitting, das eine hohe Steuerersparnis bringt.
Das regt mich wirklich auf. Das gibt es auch nur noch in Deutschland. Was mich außerdem nervt: Die Frauen, die nicht erwerbstätig sind, haben auf Kosten der Allgemeinheit studiert. Ein Medizinstudium kostet 200 000 Euro. Da muss irgendwann wieder etwas zurückfließen ins System an Wissen, Sozialabgaben und Steuergeldern. Gerade bei Akademikerinnen ist zu beobachten, dass viele nach dem ersten Kind nicht wieder zurückkommen.
Womöglich finden Sie keinen Kita-Platz.
Die Kinderbetreuung ist ein Bremsklotz, definitiv. Wenn vorn und hinten die Betreuungsplätze fehlen – was sollen die Frauen machen? Wir haben eine Mitarbeiterin gehabt, die musste Teilzeit arbeiten, um täglich um 14 Uhr ihr Kind abzuholen. Und immer war ihr Kind das letzte und die Erzieherin hat schon mit einem langen Gesicht gewartet. Das sind die Spätfolgen der Adenauer-Regierung, die damals keinesfalls Verhältnisse wie in der DDR wollte, wo jede Frau eine Ausbildung hatte und es flächendeckend Kinderbetreuung gab. So kam es zu Ehegattensplitting, Witwenrente und beitragsfreier Krankenversicherung. Man muss sich das mal vorstellen: In Schweden hat man zur gleichen Zeit darüber diskutiert, wie man Frauen aus der Abhängigkeit von der Familie befreien kann und begonnen, die Kinderbetreuung aufzubauen.
Hat die jetzt heranwachsende Frauengeneration verstanden, worauf es ankommt?
Ich halte auch an Gymnasien Vorträge. Das ist hochinteressant. Für ein Mädchen, deren Mutter immer gearbeitet hat, ist es selbstverständlich, später auch zu arbeiten. Mädchen wiederum, deren Mutter immer zu Hause war, haben geschwärmt, wie schön das ist. Das heißt, es funktioniert über Vorbilder. Oder Negativerfahrungen: Es gibt immer wieder junge Frauen, die erzählen, wie verzweifelt und mittellos sie ihre Mutter nach Trennung und Scheidung erlebt haben – und die das für ihr eigenes Leben unbedingt vermeiden wollen.
Und die ältere Generation, wie erleben sie die?
Da höre ich oft: „Heute würde ich vieles anders machen.“ Aber auch: „Meine Tochter bestärke ich, unabhängig zu bleiben.“ Viele haben einen Lernprozess durchlaufen, doch für sie selbst ist es zu spät.
Gleichberechtigung im Job gibt es noch immer nicht. Warum?
Frauen klagen gerne über eine männerorientierte Wirtschaft. Es mache keinen Spaß, so zu arbeiten. Ja, Herrschaftszeiten: Haben Sie schon einmal erlebt, dass Privilegierte ihre Privilegien abgeben? Das wird nicht passieren. Frauen müssen mitmischen, um Einfluss zu nehmen. Das mag ungemütlich sein und anstrengend. Wenn wir uns weiter zurücklehnen, wird nichts passieren.
Seit 36 Jahren engagieren Sie sich nun schon für die finanzielle Unabhängigkeit von Frauen. Was haben Sie noch vor?
Ich möchte nicht, dass Frauen Opfer sind. Das ist mein Anliegen. Es kommen immer noch täglich Anfragen für Vorträge. Solange das so ist, mache ich weiter. Es freut mich, damit für andere ein Vorbild zu sein, wie man auch alt werden kann. Man muss nicht auf dem Sofa sitzen, stricken und Kreuzworträtsel machen.
Sie geben den Frauen stattdessen einen liebevollen Tritt in den Hintern, wie sie es zuletzt formulierten. . .
Mir hat mal eine Leserin meiner Brigitte-Kolumne gesagt: „Sie schimpfen immer so liebevoll mit uns Frauen.“ Das fand ich ein so tolles Kompliment. Ich habe eben sehr viel Energie und mach’ den Frauen Feuer unter dem Hintern.
Helma Sick hält am Freitag, 8. Dezember, um 20 Uhr im Gautinger Bosco den Vortrag „Von der 'Pharaonin' zum 'Heimchen am Herd'". Der Eintritt ist frei, um Anmeldung wird gebeten unter Telefon 089/4523858-0 oder per E-Mail unter kartenservice@theaterforum.de