...in dieser Zeit, als hier das unsre weit und breit. So hat man im Jahr 1840 und lange danach das schöne Deutschland besungen. Ein Land, so ist jedenfalls anzunehmen, das Millionen Arten mehr beherbergt hat als das heutige Deutschland. Unser Land, das ist eines, in dem die Monokulturen Mais, Raps, Weizen die Landschaft dominieren. In dem Tag für Tag mehrere fußballfeldgroße Flächen versiegelt werden, allein in Bayern 10,1 ha pro Tag. Es ist ein Land, das in einem Zeitraum von 1980 bis 2010 75% der Biomasse an Insekten verloren hat – wie die großangelegte Krefelder Studie 2017 nachgewiesen hat. Ein Land, in dem der Straßenbau über dem Schutz der Habitate steht. Die traurige Liste ließe sich lange fortführen.
Unser Bayern-Land ist eines, in dem die Staatsregierung neun Millionen Euro für den Bau der Zoologischen Staatsammlung München ausgibt – aber null Euro Forschungsetat zur Verfügung stellt. Was zur Folge hat, dass die kostbare Sammlung über 200.000 Schmetterlinge nicht archiviert werden kann und somit nicht in Bezug zum Verlust der Arten gestellt werden kann.
All diese Fakten und viel mehr referiert Karl Bär, Mitglied des Bundestages für Bündnis 90/Die Grünen. Bär, der vom Tegernsee stammt und auf eine (für sein Alter, Bär ist 37 und damit jünger als der Großteil der Zuhörenden) lange Karriere und Engagement bei den Grünen zurückblickt, hat das Thema Biodiversität und Artenschwund quasi mit der Muttermilch aufgesogen, es begleitet ihn sein gesamtes politisches Leben und Wirken hindurch. Bevor er in den Bundestag gewählt wurde, war er als Referent für Agrarpolitik für das Umweltinstitut in München tätig. Entsprechend faktenreich ist sein Vortrag. Manchmal galoppiert er allzu schnell durch sein Thema, gerne möchte man ihn zwischendurch stoppen, weil man bei einem Punkt länger in der Diskussion verweilen würde. So geht es in rasender Geschwindigkeit von der Frage: Seit wann wissen wir, das Arten sterben?, über die Bestäubungskrise und ihre Auswirkungen auf die Länder Afrikas, über das Bienensterben zu den Schäden, die der Tourismus in den Alpen anrichtet. Bär ist ein Getriebener, das hört man ihm an und er sagt es auch: „Ich habe keine Zeit“, das ist sein Mantra des Abends und, das macht er eindringlich klar, es sollte auch unseres sein.
Wir haben keine Zeit.
Pro Tag verlieren wir auf der Erde geschätzt zwischen 20.000 und 50.000 Tierarten. Nicht einzelne Tiere, Tierarten.
Diese Zahlen schockieren, sie treffen das Publikum im bosco aber vor allem deshalb, weil der Vortrag in der Bar Rosso stattfindet und während das Publikum den Fakten über das Artensterben lauscht, blickt es auf die Individuen, die es getroffen hat: die hervorragenden Bilder, die Erwin Geiss von den Exponaten ausgestorbener Tiere gemacht hat und deren anklagende Blicke uns ins Mark treffen.
Dass Tierarten aussterben können, diese Erkenntnis, so lernen wir von Bär, verdanken wir Georges Cuvier, einem Naturforscher zur Zeit der Aufklärung. Er stellt als erster die These auf, dass in der Erdgeschichte wiederholt Ereignisse stattfinden, die das Sterben von Arten (er formuliert seine These am Beispiel des Mammuts) zur Folge haben. In den mehr als 200 Jahren, als die These des Katastrophismus aufgestellt wurde, haben wir scheinbar nichts gelernt. Die Hauptgründe für das Vernichten von Artenvielfalt wie Lichtverschmutzung, Verlust von Lebensräumen, Monokulturen, Flächenfraß und Pestizide (um nur einige zu nennen) haben in den vergangenen Jahrzehnten deutlich mehr zu- als abgenommen.
Dabei sind die Lösungen klar. Von der Wiedervernässung der Moore über die Förderung artenreicher Flächen, dem Verbot von Neonicotinoiden oder dem Einhalt im Gewerbe-, Siedlungs- und Straßenbau, liegen die Erkenntnisse auf dem Tisch. Allein: sie müssen politisch durchgesetzt werden.
Zurückdrehen lässt sich das Rad nicht, auch das verdeutlicht der Vortrag von Karl Bär. Aber außer, dass jeder von uns nach der Maxime leben sollte, sein Leben so einzurichten, dass es der Natur weniger Schaden zufügt, hat der Referent auf die Frage aus dem Publikum, „Was können wir tun?“, eine klare Antwort: politisches Engagement. Und wenn es nur ist, das Kreuzchen auf dem Wahlzettel an der richtigen Stelle zu machen.